Sonntag, 15. September 2013

Degemer mat!

Breizh

Die Frage, die mir viele stellen: Warum treibt es dich seit vielen Jahren immer wieder in die Bretagne?
Antwort: Weil die Engländer meinen Hund nicht wollen - und ohne den fahre ich nirgendwo hin.
Inzwischen würden die Briten die Einreise des Hundes akzeptieren, aber na ja, nun hat mich schon die Bretagne mit ihrem Bann belegt. Zu spät, Briten...
Warum aber überhaupt keltische Länder? Das frage ich mich selbst. Ich bin hier zu Hause. Warum auch immer. Das war so, als ich zum ersten Mal britischen Boden betrat - ich war nach Hause gekommen. Das war 1970 und ich 17 Jahre alt. Seither ließen mich die britischen Inseln nicht mehr los. Später dann war mir der Hund wichtig - und ich musste die Inseln gegen die Halbinsel der Bretagne tauschen.  

Little and Great Britain 

In vielem sind sie sich ähnlich, die beiden Britannien dieseits und jenseits des Kanals. Keltisch waren sie beide. Zuerst besiedelten die Kelten auf ihren Wanderungen vom Süden her die Bretagne und mischten sich mit den vorigen Kulturen, wie sie es immer getan hatten - dann setzten sie über und machten dasselbe auf den Inseln. 
Die Römer überrannten die Kelten der Bretagne - bis auf jenes bekannte kleine gallische Dorf natürlich - und versuchten das auch auf den Inseln. Dort klappte das aber nicht so ganz. Und Hadrians Wall setzte dem Vormarsch endgültig ein Ende.
Nach der Zeitenwende kamen die Germanen. Wikinger, Angeln, Sachsen besetzten die größte Insel und benannte sie um - in Angelssachsen - Angelland - England. Die Kelten flohen über den Kanal und besiedelten die Bretagne ein zweites Mal. In der Zeit kämpfte König Artus und die Seinen gegen Drachen und Sachsen. Zauberer Merlin kam aus Klein-Britannien über den Kanal und mischte mit. Auf der Flucht vor den Germanen nahmen die Briten die Sagen mit und pflanzten sie zur Freude heutiger Touristen in der Bretagne ein. Die Saat wurde zuerst von den Romantikern des 19. Jahrhunderts und dann von deren Nachfolgern, den Tourismusverbänden, fleißig weitergegossen, was bis zu heutigen Straßennamen und Felsunterkünften einiger Sagengestalten führte. Artus, Viviane und Merlin wurden an mehreren Stellen gesichtet. Broceliande, der Wald bei Rennes, ist ein Zentrum der Mystik. Mein Hund Merlin konnte einst ans eigene Grab pinkeln. Auch im Wald von Huelgoat findet man Artus, Lancelot und Gwynivieve durch die Bäume streifen. Und dazwischen versuchen einige Inselchen sich als Avalon. Besonders die Île d'Aval neben der Île Grande bei Pleumeur Boudou könnte es sein, denn angeblich ist dort das Grab von Artus. Man muss nur entscheiden, ob er unter dem Kreuz oder dem Menhir liegt.
Die damaligen Briten waren bereits von Saint Patrick und seinen Kumpeln christianisiert, sodass die Bretagne eines der ersten Gebiete im Norden des Kontinents war, das christlich wurde. Diesem Fakt haben wir die unzähligen winzigen Kirchlein gleich neben Menhiren, an Quellen, auf den Felsvorsprüngen am Meer und auf Dolmen zu verdanken. 

Unter den geflohenen Kelten muss es einige eigentümliche Gestalten gegeben haben, denn sie siedelten genau auf diesen Stellen, wo heute die Kirchlein stehen, und taten Wunder. Manche einer unterhielt sich mit Tieren, ein anderer aß Zeit seines Lebens einen einzigen Fisch, der sich immer wieder regenerierte. Seltsame Dinge geschahen mit diesen Herren, die alle ganz alleine an diesen einsamen Stellen ihr Leben verbrachten. Eremiten waren es. Und sie waren heilig. 9999 soll es in der Bretagne geben. Rom ist nicht ganz dieser Meinung. Doch mit Rom hatten sie auch nicht viel am Hut. 
Die Kirchlein - und auch die neueren großen, imposanten Kirchen der Bretagne haben alle eines gemeinsam: Man findet einen Calvaire - ein Standbild, auf dem die Geschichte Jesus eingemeiselt wurde - und eine Quelle. Oft ein Menhir oder auch mal eine Krypta aus einem Dolmen. Die alten Stätten aus vor-keltischer Zeit, die megalithischen Stätten, wurden gerne in christliche Stätten einbezogen. Manchmal wurden die Menhire auch einfach in Kreuze umgewandelt. 
Massenhafte Steine, von Menschen dort hingestellt, gibt es in der Bretagne und in Großbritannien. Und überall sonst - wenn man sich für sie interessiert, findet man sie. Megalithische Stätten sind keineswegs auf "keltische Gegenden" beschränkt. Nur sind sie hier am bekanntesten. Der Menhir, der Dolmen, der Cairn - auch lateinisch Tumulus genannt - und schließlich der Cromlec'h, der Steinkreis, in dem Viviane Merlin gefangen hielt. Die Archäologen haben ihnen weltweit bretonische Namen gegeben. Den hohen Stein - Menhir. Den Dolmen - ein Gebilde aus drei Steine, zwei senkrechten, einer oben auf als Deckel. Der Cairn - ein Gebilde aus mehreren Steinen, senkrechten, die mit waagrechten bedeckt sind - und dann mit Erde und Steinen zu einem Hügel aufgeschüttet wurden. 
Es waren nicht die Kelten, wie gerne behauptet wird, die diese Gebilde schufen, sondern die Menschen vor ihnen. Die Kelten haben sie dann nur in ihre spirituelle Mystik, in ihre Kultur, mit eingebaut. Und Gräber aus Steinen zu bauen, das liegt in der Natur der Sache. 
Diese Steine und die Landschaft sind eins. Das ergibt die Keltische Landschaft, mit ihren hecken gesäumten Feldern, den Häuslein aus Granit, den zwei Kaminen, die die Häuslein so typisch machen - auf beiden Seiten des Kanals.
Sogar die Sprachen stammen voneinander ab. Bretonisch und Wallisisch - Welsh - haben wohl viele Ähnlichkeiten, so viele, dass sich die Menschen bis heute verstehen. Auch das ausgestorbene Cornish muss dem Bretonischen ähnlich sein. In wie weit Gälisch und Bretonisch verwandt sind, ist nicht ganz klar, offensichtlich haben sich diese Sprachen auseinander entwickelt. 
Doch den keltischen Sprachen auf beiden Seiten des Kanals ist ähnliches passiert: Sie wurden fast vernichtet. Englisch - diese Mischung aus Germanisch und Französisch mit einem Rest Keltisch - übernahm die Britischen Inseln. Französisch wurde den Bretonen von den französischen Besatzern aufgezwungen. Bis in die 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts war es auf den Schulhöfen verboten, Bretonisch zu sprechen. 
Seither aber hat sich etwas getan. Bretonisch wurde vor dem Untergang gerettet. Die Bretonische Kultur in Sprache und Musik wird gepflegt. Die Bretonischen Separatisten haben erreicht, dass mindestens im Westen die Straßenschilder zweisprachig und die Tafeln für Touristen auch in Bretonisch gehalten sind. 
Bretonisch ist keine klangvolle Sprache. Ich finde, sie klingt wie das Bellen eines Hundes. Aber egal wie sie klingt - es ist eine Sprache und sie muss erhalten werden. Und deshalb habe sogar ich einige Wörter gelernt - und bemühe mich, die bretonischen Ortsnamen den französischen vorzuziehen.  

Warum fasziniert mich diese Gegend so sehr?  

Nicht dass ich nicht andere Gegenden erforscht hätte. Besonders Frankreich kenne ich einmal rundum - und große Teile im Landesinneren. Doch die Bretagne ist es, wo ich sein möchte. Am Liebsten für immer. Das geht leider nicht, da ich keine Schriftstellerin bin, die es sich leisten kann, von dort aus zu arbeiten - und keine reiche Erbin, die die horrenden Immobilienpreise aufbringen kann.
Die Arbeit, die mein Leben finanziert und mir auch meine Aufenthalte in der Bretagne ermöglicht, muss ich in Deutschland ausüben. Deshalb bin ich dort gemeldet und lebe sogar ganz gerne in dem Dorf, das ich mir vor vielen Jahren ausgesucht habe - doch meine Sehnsucht liegt in der Bretagne.
Mancheiner würde sagen: Da muss wohl ein früheres Leben stattgefunden haben. Als Agnostikerin meine ich: Vielleicht - wer weiß? 

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