Dienstag, 24. September 2013

Inseln



Das Archipel - in der Mitte die Île de Marquer

Inseln finde ich grundsätzlich faszinierend. Die Inseln vor der Bretagne haben ihren eigenen Zauber. Und auf manchen von ihnen stehen Häuser, landwirtschaftliche Gehöfte, sogar eine Kapelle findet man.
Eine Gruppe solcher bewohnten Inseln befinden sich vor Port Blanc und Buguélés.
Es ist anzunehmen, dass hier eine zusammenhängende Landmasse existiert hatte, wie es allerdings oft in den flachen Buchten vor der Bretagne der Fall ist. Beweise sind manchmal megalithische Stätten, die bei Flut im Wasser versinken. Wir können davon auszugehen, dass die Errichter dieser Steine keine nassen Füße bekamen, damals vor 4000 oder sogar 5000 Jahre.

Das Archipel

Das Archipel aus Richtung Port Blanc, links Saint Gildas
Hier an diesem Küstenabschnitt gibt es unzählige Inseln und Steinhaufen. Der Boden dazwischen ist bei Ebbe begehbar, sogar mit dem Auto kann man dort fahren. Die gesamte Anse de Gouermel, die Bucht zwischen den beiden Weilern Buguélés und Port Blanc, ist bei Ebbe zu Fuß zu durchqueren.
Eine Frau, die ich einmal bei ihrem Ferienhaus in der Nähe des Castel meur kennenlernte, erzählte mir, dass sie Wanderungen von dort bis Port Blanc machen - quer über den Meeresboden. Sie müssten nur genau die Zeiten einhalten und sich am Ziel nicht zu langen aufhalten, sonst könnten sie auf dem Rückweg Probleme bekommen. Und außen herum auf dem Land ist das ein guter Tagesmarsch, keine gute Idee, dazu gezwungen zu sein.
Bei einer dieser Wanderungen hatten sie und ihr Mann wohl auch die Eigentümer der Enez Illiec kennengelernt. Offensichtlich hatten sie sich nicht ganz an die Regeln der Inselgrenzen gehalten. Seien aber nette Leute, meinte sie, diese Champagnerfabrikanten.
Die meisten der besiedelten Inselchen gehören zu Buguélés, einem Ortsteil von Penvénan.  Gegenüber des kleinen Hafens mit den Fischerbooten befindet sich die Île Balanec und die kleine Île Ozac'h, dazwischen befindet sich eine Moulin marée, eine Gezeitenmühle. Man wusste schon immer die Kraft des Wassers zu nutzen. 

Île de Marquer

Gebäude auf der Île de Marquer
Manche Inseln werden bewirtschaftet. Viehzucht, aber auch Ackerwirtschaft werden dort betrieben. Auf den meisten wurde die Bewirtschaftung jedoch aufgegeben. Realistisch gesehen kann es auch nicht wirtschaftlich sein, diese Inseln heute noch zu bewirtschaften.
Ebenfalls auf der Île de Marquer
Doch meine Vermieterin erzählte mir, dass ihr Vater in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, also während der deutschen Besatzungszeit, auf Saint Gildas als Landarbeiter gearbeitet hatte.
Auf der Île de Marquer, die zweigeteilt ist, sieht man auf Google Earth auch heute noch einen Acker. Die Insel liegt im Westen von Buguélés, an der kleinen Bucht, die es von Port Blanc trennt. Auf dem winzigen Zipfel Festland, der hier ins Meer vordringt, steht ein aktiver Bauernhof. Zur Insel hinüber sind es nur wenige Meter. Anzunehmen, dass der Acker von dort aus bewirtschaftet wird. Über die beiden Gebäude auf der Insel gibt es keine Informationen.
In der Bucht wird der Tang gesammelt und getrocknet. Der Tang dient als Dünger, wird aber auch wie Algen allgemein von der Kosmetikindustrie verwendet.

Privatinseln

Felsen mit Seezeichen am Rand von Saint Gildas
Doch schon damals um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten sich reiche Künstler, Schriftstelle, Maler, auch Wissenschaftler auf den Inseln niedergelassen.
So gehörte Saint Gildas, die größte Insel des Archipels, in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts dem Nobelpreisträger für Medizin, Dr Alex Carrel.
Über Dr. Alex Carrel fand ich Informationen - und wenn man liest, dass er einen Posten im Gesundheitsministerium des Vichy-Regimes hatte und einige Ansichten der Nazis vertrat, versteht man, warum die Universität von Lyon 1994 ihren Namen änderte. Mehr muss man nicht auf seine Person eingehen, das würde den Zauber der Insel stören. Er hatte den Nobelpreis bereits 1912 erhalten. Lassen wir ihn ihm. 

Enez Illiec


Enez Illiec mit dem Lindbergh-Haus

Carrel war Freund, Mentor und Mitarbeiter von Charles Lindbergh, dem Flieger. Als Charles und Anne Lindbergh die Carrels auf ihrer Insel besuchten, waren sie - wen wundert es - fasziniert von der Atmosphäre, dem Land, dem Meer und den Felsen. Sie entschieden sich, das Haus auf der Enez Illiec zu kaufen. „Enez“ ist das bretonische Wort für „Insel“. Dieses Haus war 1876 vom Musiker und Komponisten Ambrose Thomas, der die Oper 'Mignon' komponiert hatte, gebaut worden. 
Enez Illiec bei Ebbe
Die Lindberghs wohnten nur von 1936 bis 1939 auf der Insel. In der Zeit pflanzten sie 500 Zypressen und 500 Pinien. Dank dieser Aktion ist das Inselchen auch heute noch bewaldet. Das Haus hat einen kleinen Turm auf der einen und eine Kapelle auf der anderen Seite. Lindberghfans – Fans der frühen Fliegerei – pilgern heute noch hierher und werden durch die großen Schilder, die das Betreten der Insel untersagen, abrupt gestoppt. Ich bin sicher, nicht jeder lässt sich davon abhalten, die Insel zu betreten, wenn das Haus geschlossen ist.
Nachdem ich schon auf dem Contentin den „Lindbergh Plage“ (in der Nähe von Portbail, südlich von Cherbourg) entdeckt hatte, fand ich es nun schon interessant, hier das Haus zu finden. Die Lindberghs lebten nur diese drei Jahre hier, dann wurde die Situation in Europa zu unruhig, und sie kehrten in die USA zurück. 
Heute gehört diese Insel der Champagner-Familie Heidsieck. 

Saint Gildas

Der Weiler auf Saint Gildas mit dem Seezeichen
Saint Gildas, die größte Insel des Archipels, gehört heute einem belgischen Industriellen und kann wie alle Privatinseln nur bis zum Rand der höchsten Flut betreten werden.
Ein besonderes Spektakel findet dort jährlich im Juni statt: Der Pardon der Pferde. 
Das Seezeichen zeigt die Ecke zum Hafen von Port Blanc an

Pardons sind die Wallfahrten, die jedes Jahr für jeden einzelnen der vielen bretonischen Heiligen stattfinden. Meist werden in den jeweiligen Orten Statuen dieser Heiligen unter Absingen frommer Lieder und dem Verteilen von Weihrauch und -wasser herumgetragen. Und es wird gefeiert.
Die Kapelle auf Saint Gildas
Hier auf Saint Gildas ist es ein Pardon der Pferde. Es wird seit dem 18. Jahrhundert durchgeführt. Es geht die Geschichte, dass vor sehr langer Zeit - in den dunklen Zeiten - alle Pferde des Kontinents durch eine schreckliche Krankheit fast ausgerottet wurden. Nur die Pferde auf der Insel überlebten, weil Saint Gildas sie geschützt hatte. Schön, dass Heilige immer so angenehme Wunder verbringen.
Gebäude auf Saint Gildas
Aus diesem Anlass überqueren jedes Jahr die Pferde der Gegend mit ihren Reitern unter großem Hallo die Bucht. Auch Fußgänger besuchen dann die Insel, es werden sogar Transporte mit Karren angeboten. Es ist der einzige Tag, an dem die Insel betreten werden darf. In der Kapelle wird des Heiligen gedacht, es wird gefeiert, und dann geht es zurück über die Bucht, über den Kieseldamm, zu Fuß, mit dem Karren oder im Galopp auf den Pferden. Die Zeiten sind genau vorgegeben. Das Zeitfenster lässt etwa vier Stunden - zwei davon zwischen Hoch- und Niedrigwasser, und spätestens zwei Stunden nach der Ebbe sollten die Feiernden wieder auf dem Festland sein, sonst gibt es nasse Füße.

Hier ist eine nette PDF-Doumentation mit vielen Fotos von diesem Ereignis: Pardon der Pferde

Sonntag, 22. September 2013

Goas Lagorn

Geheimnisvoll kann sich die Bretagne präsentieren, wenn man sich nicht nur auf den üblichen Touristenpfaden, die in den Reiseführern genannt sind, bewegt. Und wenn man sich wirklich bewegt, das heißt, zu Fuß geht, um etwas tiefer in das Land einzudringen als es möglich ist, wenn man nur aus dem Auto oder dem Reisebus hüpft, um eine Touristenattraktion anzuschauen. 
An der Mündung des Léguer, des Flusses, der die Stadt Lannion in zwei Teile teilt, gibt es zwei solcher geheimnisvollen Plätze. Viele bretonische Flüsse enden im Kanal mit einem breiten Mündungstrichter. Weiter im Westen, in Finistere, werden diese Trichter "Aber" genannt. Teilweise kann man sie schon fast mit Fjorden vergleichen. 
Der Mündungstrichter des Léguer ist 9 km lang. Die Ufer sind steil und bewaldet. Bis Lannion wirken sich die Gezeiten aus. Vor Lannion ist es einfach ein nettes Flüsschen, dass gemütlich durch ein waldreiches Gebiet mit vielen kleinen Kirchen, einigen Schlössern und massenhaft Bauernhören fließt. In Lannion bedeutet der Fluss hauptsächlich, dass man Brücken braucht, um nach Süden zu gelangen, um die Bucht von Lannion herum zum Beispiel, Richtung Morlaix und Brest. Und wenn Ebbe ist, ist das Flussbett eine einzige schwarze ekelige Matschkuhle.
Wenn der Fluß Lannion wieder verlässt und weiter an steilen Hängen vorbei in den Ärmelkanal, in die Baie de Lannion, mündet, dann fließt das Wasser mal in die eine und sechs Stunden später in die andere Richtung. 
Am Ende, an den Spitzen, liegt auf der südlichen Seite Locquémeau mit dem Pointe de Dourven, im Trichter befindet sich das geheimnisvolle Yaudet mit seinem Kirchlein und der archäologischen Ausgrabungsstätte, von dem ich später berichten werde, und am Nordufer, oben auf den Klippen, das Örtchen Beg Leguer. Beg ist bretonisch und bezeichnet eine Landspitze. Die eigentliche Landspitze ist eine hohe Klippe. Unterhalb der Klippe, dem offenen Meer zugewandt, gibt es einen Sandstrand. 
Ein Küstenweg unten entlang der Klippen führt nach Pors Mabo und weiter nach Trébeurden. 
Ein Weg zweigt schon bald nach rechts ab und steigt steil hinauf. Dort oben befindet das Vallée de Goas Lagoarn, ein ganz besonderes Hochtal.
Die unteren Hänge sind noch offen zum Meer, ungeschützt dem Wind und der Gischt ausgesetzt. Dort wird nicht von den Menschen in die Natur eingegriffen. Deshalb wachsen hier Farne, Heide und einige sture Kiefern, krumm und schräg. 
Oben, in den sanften Senken, die vor den Unbillen des offenen Meeres und des Windes geschützt sind, wurde das Gelände vor einigen Jahren so umgestaltet, dass es nachhaltig landschaftlich bewirtet werden kann und gleichzeitig der Natur freie Hand gegeben ist. Im Goas Lagoarn-Tal ist nur noch Viehzucht möglich, Äcker dürfen nicht mehr angelegt werden. Kühe, Ziegen, ein Pferd und ein Esel pflegen die Weiden, die von Hecken umsäumt sind. Die Bäche, die hier entspringen, wurden in ihre natürlichen Läufe zurückgeführt. Überall gluckert und rauscht es, frisches Quellwasser fließt durch das Tal. Ein Fest für den Hund, der seinen Durst stillen und herumplantschen kann. 
Baie de Lannion vom Aufstieg nach Goas Lagorn
Doch zuerst muss man den Aufstieg schaffen. Die Verschnaufpausen kann man nutzen, um den wunderschönen Blick hinunter auf den Strand und zur Mündung des Flusses zu nutzen. Man sieht über die Bucht von Lannion, sieht die kleine Insel vor Locquémeau

Große Höhe

Glücklich, oben angekommen zu sein und wieder einigermaßen eben gehen zu können zeigt eine Richtungstafel nach Rechts, einmal zum GR 34, dem Küstenwanderweg, der mehr oder weniger die ganze Nordküste entlang führt. Außerdem führt er zu einem Platz namens "Saint Thurien". Mitten im Wald?
An einer Wegkreuzung tauchen im Wald plötzlich Ruinen auf, die erst in den letzten Jahren wieder als solche zu erkennen sind. Die Heger und Pfleger des Tales haben sie von den Pflanzen befreit, gesäubert und teilweise auch wieder etwas aufgebaut. So gibt es Holzbalken über einem ehemaligen Raum, so wie früher die Decken gebildet wurden. Man sieht einen alten Ofen, in dem das Brot gebacken wurde. Man war weitgehend autark hier oben. Auch einen Brunnen gab es zwischen den Gebäuden.

Eine Tafel klärt auf. Es handelt sich um die "Ferme Krec'h Meur" - die Farm der großen Höhe. Na ja, vom Meer ausgesehen sind wir schon weit oben. Die Tafel erzählt, der Bauernhof war 1958 bereits aufgegeben worden, weil es sehr schwierig war, hier her an diesen sehr isolierten Platz zu gelangen.
Ruinen im Wald
Ferme Krec'h Meur - in der hinteren Wand ist der Backofen zu sehen

Die Geschichte vom Esel, der gerne spielt

Ich folge dem Weg weiter und gelange an einen Koppelzaun, in dem eine Barriere eingelassen ist, die Tiere auf der Koppel halten, Menschen sich jedoch durchschlängeln lässt. Hunde können unten hindurch. 
Auf der Koppel sehe ich ein weißes Pferd und einen Esel. Der Hund schnuppert noch entlang des Weges. Ich gehe durch diese Barrikade und lande auf der anderen Seite auf einem Wiesenweg, der dem Koppelzaun folgt. Ich drehe mich nach meinem Hund um und sehe ein Drama. 
Der Esel hat den Hund entdeckt und findet, er darf die Koppel nicht überqueren. Der Hund steht mit absolut entsetztem Gesichtsausdruck auf der anderen Seite. Er schaut mit flehend an. Ich rufe: "Komm!" Der Hund setzt sich in Bewegung, um unter der Holzkontruktion hindurch zu gehen und die zwei Meter Koppel zu durchqueren. Der Esel legt die Ohren an und senkt den Kopf. Der Hund hält sofort an. Ich rufe wieder. Der Hund bewegt sich. Der Esel legt die Ohren an. Der Hund bleibt stehen, schaut vom Esel zu mir und wieder zum Esel. Er ist in absoluter Panik. Ich rufe erneut: Komm schnell! Der Hund läuft los, der Esel legt die Ohren an und macht einen Schritt auf den Hund zu. Der Hund bleibt stehen und wifft in einen verzweifelten Welpenton. 
Da weiß ich, so werden wir nie zueinandern kommen, der Hund und ich - die Koppel war viel zu breit. Ich gehe in die Koppel zurück und reden den Esel an, teile ihm mit, er solle sich nicht so zickig benehmen. Der Esel schaut mich an und spitzt die Ohren. Ich lege ihm die Hand an die Nüstern. Ich denke, nun ist er abgelenkt, das gibt dem Hund... Der Esel schaut zum Hund und legt die Ohren an, scharrt mit dem Huf.  
Der Hund ist in Panik erstarrt und fiebt leise. 
Ich breite meine Arme aus und bedeute dem Esel, sich zu entfernen. Der Esel schaut mich an, spitzt die Ohren und findet, dass ich ihn kraulen solle, was ich mache. Dann gebe ich ihm einen Klaps und versuche, ihn in die andere Richtung zu drehen. Langsam bewegt er sich zur Seite. Ich rufe wieder nach meinem Hund und trete selbst aus der Koppel heraus. 
Der Hund nutzt die Gelegenheit, rennt wie von der Tarantel gestochen durch die Konstruktion und auf der anderen Seite heraus und springt voller Begeisterung an mir hoch. 
Der Esel fühlt sich verarscht, dreht sich um, legt die Ohren an, senkt den Kopf, scharrt mit dem Huf - aber zu spät, der Feind hat das Terrain verlassen. Hund und ich zeigen dem Esel den Vogel. Der ist beleidigt und dreht ab. Das Spiel war schön, aber nun ist es vorbei.
Versteckt im Wald, mitten auf einer Wiese

Chapelle oubliée

Wir gehen am Zaun entlang, gelangen an ein kleine Brücke über ein Bächlein. Der Hund verschwindet sofort im Wasser und ist glücklich. Ich trete über die Holzplanken und bin auf eine Wiese. Und da steht sie, die Kapelle "Saint Thurien". Die vergessene Kapelle.
Es ist eines der Kirchlein, die ich bereits erwähnte. Vermutlich hat der Heilige Thurien oder auch Durien nach seiner Flucht vor den Sachsen die britische Insel verlassen und sich hier in diesem Hochtal, damals sicher noch völlig bewaldet, niedergelassen und in der Einsamkeit sein Leben gefristet. Der Platz strömt Spiritualität aus. Wer die Fähigkeit hat, das zu spüren - oder bereit ist, sich darauf einzulassen, fühlt das. Vermutlich hat auch Thurien das gefühlt und fand, hier könne er leben.

Samstag, 21. September 2013

Grève Blanche

Grève Blanche nennt sich dieser Teil von Trégastel Plage, in dem ich wohne. Grève Blanche ist der kleine Strand, der sich genau nach Westen, ins offene Meer, wendet.
Vor der Grève Blanche liegen drei Inselchen. Die Île Tanguy als südlichste, ich habe von ihr berichtet. Im Norden, durch einen natürlichen Damm aus Sand mit dem Festland verbunden, ist Île Lapin, die Kanincheninsel. Und westlich davon liegt die Île de Seigle. Eigentlich sind es drei Inseln, doch die Schluchten dazwischen sind nicht immer überflutet. Oder besser, die drei Teile werden nur bei Grande Marée völlig voneinander getrennt.
Bei Ebbe ist die Insel zu Fuß zu erreichen. Man tut aber gut daran, die Zeiten im Augen zu behalten. Denn wenn das Wasser zurückkommt, fließt es zwischen dem Festland und der Insel wieder zusammen, lange bevor der Sand dazwischen überflutet wird. Und dann bekommt man mindestens nasse Füße.
Gréve Blanche, rechts Île Lapin, links Île de Seigle
Sportlichen Menschen gelingt es, von der dem Festland zugewandte Seite über die Felsen auf die Insel zu gelangen. Auch können diese akrobatischen Menschen die einen der beiden anderen Inselteile beklettern. Ich gehe lieber den sicheren Weg zwischen den Inseln auf den vorderen Teil. Auch da ist noch genügend Kletterkunst gefordert. Unsicher auf den Beinen sollte man nicht sein.
Auf dem Sand und am Rand der Insel ist wieder Pêche à pied angesagt. Überall stehen dunkle Silhouetten herum, kauern sich in den Sand, buddeln und sammeln. Ich gehe zwischen ihnen hindurch, verhindere, dass der Hund sich zu sehr für die Beuten interessiert. Als er mal in einen Eimer hineinschnuppert, schaue auch ich hinein und wende mich schnell ab. Darin findet ein Gewusel von roten Würmern statt. Angelköder. Bin ich froh, dass ich nicht angeln muss.
Dann bin ich, nach einem großen Schritt über den Tanggürtel, den das Wasser hinterlassen hatte, an den ersten Felsen der Insel angekommen. Die Senke zwischen den Inselteilen ist voller einzelner Felsen, auch Kieselsteine liegen herum, dazwischen Alten, Tang und Pfützen mit sandigem Grund. In den Pfützen schimmern farbige Schnecken, Kieselsteine und Pflanzen. Der Meeresboden unter Wasser ist bunt und glänzend, wunderschön.
Dann beginnt der Untergrund ganz felsig zu werden. Hier beginnt der Aufstieg auf den vorderen Teil, der Aufstieg, der keine akrobatischen Kunststücke verlangt.
Geheimnisvoll
Oben stehe ich auf Heide. Teilweise blüht es noch, teilweise ist es vertrocknet. Dazwischen Pfade, gerade breit genug für einen Fuß. Die Insel wird im Sommer sicher öfter besucht, was dem Untergrund und dem Bewuchs nicht gut tut, aber offensichtlich hält es sich in Grenzen, die Wege sind wirklich schmal, die Heide wächst dick und kräftig. Vorsichtig gehe ich nach links, nach Norden, bis ich am Felsenrand bin.
Ich bin absolut allein auf dem Inselchen. Und auf dieser, dem Meer zugewandten Seite, sehe ich auch die Menschen unten auf dem trockenen Meeresboden nicht. Mein Hund und ich existieren, sonst nichts und niemand. Außer den Vögel, die über dem Wasser ihre Gleitflüge machen oder unten zwischen den Felsen nach Futter suchen. Sie und wir beleben die Welt.
Ich suche mir einen bequemen Felsen, etwas windgeschützt, und setze mich hin. Ich blicke in die Ferne. Gegenüber sind die 7 Inseln, die so viel mehr als 7 Inseln sind - les Sept Îles. Auf der größten ist das normannische Fort auf der einen und der Leuchtturm auf der anderen Seite zu erkennen, Île aux Moines wird sie genannt, die Insel der Mönche. Sie ist die einzige, auf der Touristen von den Booten losgelassen werden können. Von meinem letzten Ausflug dort hin, der schon fast 10 Jahre her ist, weiß ich, dass auch dort Fußwege angelegt sind. Der Bewuchs ist durch niedere Drahtabschrankungen geschützt. Es ist nicht mehr möglich, kreuz und quer von der Anlegestelle der Ausflugsschiffe unterhalb des Leuchtturms zum fort auf der anderen Seite zu gehen. Gut für die Natur, schlecht für die Besucher - und deshalb war ich seither nicht mehr dort.
Die anderen Insel dürfen überhaupt nicht betreten werden, es ist im Interesse der Vogelwelt verboten. Wenn man bei einem Ausflug mit dem Schiff Glück hat, bedankt sich irgendwo ein fauler Seehund dafür, indem er mit der Flosse freundlich herüber winkt, ansonsten aber nicht weiter in seinem Schläfchen gestört werden will.
Auf der runden Insel ganz im Osten blinkt es weiß herüber - Guano von der Basstölpelkolonie. Dort gibt es auch eine Videokamera der ornitologischen Station auf der Île Grande.
Île Rouzic - Webcam

Ich sitze und sauge in mir auf. Das Gefühl, alleine auf so einer Insel zu sitzen - auch wenn diese im Moment eigentlich gar keine Insel ist - ist unbeschreiblich. Es ist, als schwebe man im Universum. Der Rest der Menschheit findet nicht statt. Nichts findet statt. Nur das Meer, die Wellen, der Wind und dieser unendliche Blick in die Ferne. Bin ich in eine andere Dimension eingetreten?
Die Stille ist hörbar. Es gibt keine Geräusche, mit denen man sonst unablässig konfrontiert ist. Keine Stimmen, keine Motoren, kein Klappern, kein Rascheln. Es ist die absolute Stille, die es nur zu diesem Zeitpunkt geben kann. Denn im Moment ist auch das Meer stehengeblieben.

Turn of the Tide - im Hintergrund die Île des Moines
Der Tiefpunkt des absoluten Niedrigwasser ist erreicht. Etwa eine halbe Stunde bleibt das Meer auf diesem Stand. Jeden Tag zwei Mal bei Ebbe, zwei Mal beim höchste Stand. Dann scheint auch die Zeit stehen zu bleiben. Wie eine Decke liegt die Ruhe in der Luft. Nicht einmal ein Windhauch ist zu spüren.

Freitag, 20. September 2013

Castel meur oder was tut das Auto da?

Hier an dieser Nordküste gibt es einige Fotomotive, die die Bretagne bekannt gemacht haben. Dazu gehört das Chateau Costaere, der Leuchtturm von Ploumanac'h und natürlich das kleine Haus zwischen den Felsen, Castel meur.
Dieses kleine Häuschen ist bekannt wie ein bunter Hund. Es wurde Millionen Mal fotografiert. Ganze Fotokurse wurden jedes Jahr hierher gekarrt, um das Haus fotografieren zu lernen. Dann standen sie mit ihren digitalen Spiegelreflexkameras auf Stativen am Rand der Lagune, die das Häuschen vom Weg trennt, und fotografierten, was das Zeug hält.

Castel meur fotogen
Doch die Fotokursguppen sind verschwunden. Man findet keine Postkarten von diesem Motiv mehr und in Kalendern taucht es nicht mehr auf. Findet man es in einem Bildband, dann ist dieser schon ziemlich alt. 
Aber jeder Tourist, der zum ersten Mal hierher kommt, zückt weiterhin das Smartphone, die kleine kompakte Kamera oder die DSLR, auf die er so stolz ist, um dieses begehrte Motiv ein weiteres Mal auf die Platte zu bekommen. Und das meist aus genau dem selben Winkel wie die anderen, den sehr viele Alternativen gibt es nicht.
Auch ich habe über die Jahre unzählige Fotografien des kleinen Hauses gemacht, denn ich gebe zu, es reizt einfach, hier ein Foto zu machen.
Und heute bin ich auch gezwungen, wieder auf den Auslöseknopf zu drücken. Denn das Häuschen präsentiert sich, wie es sich seit langem nicht mehr präsentiert hatte. Es steht kein Auto davor.
Erbaut wurde das kleine Häuslein 1861. Seither trutzt es mit dem Rücken Wind und Wellen. Damals gab es noch keine Bauvorschriften, und man konnte verrückt bauen. Der Konstrukteur dieses Hauses war wohl etwas verrückt. Es braucht viel Liebe zum Meer und seinen Launen, um hier zu leben - vor allem im Winter. Der Erbauer lebte hier sogar einige Jahre und grub währenddessen von Hand auch die beiden Teiche aus, der eine vor dem Haus, der andere etwas westlich davon.
Seine Erben nutzten das Haus später nur noch gelegentlich, wenn das Wetter schön war. Ende des 20sten Jahrhunderts kamen die Besitzer nur noch alle zwei oder drei Jahre zum Haus. Das Haus war in Gefahr, zu  zerfallen. Da lernte ich es kennen.
Die jetzige Besitzerin, eine Urenkelin des alten Besitzers, verließ Treguier, wo sie geboren wurde, um in Amerika ihr Glück zu machen, und zog nach dem Verkauf ihrer Firma im Jahr 2004 in das Häuschen.
Über die Jahre hatten die Tourismusexperten Castel meur als Wahrzeichen dieser Region aufgebaut. Diese Landspitze mit dem Castel meur wurde das Emblem von Plougrescant. Es wurde weltbekannt. Man sah es nicht mehr als Privateigentum, sondern als allgemein zugängliche Sehenswürdigkeit.

Busladungen von Touristen kamen. Es war der Höhepunkt des Tages, dieses kleine Häuschen. Und wenn japanische Touristen verzweifelt ein originelles Souvenir suchen, dann klettern sie auch schon mal für ein Erinnerungsfoto auf das Dach des Häuschens, was dem nicht gut bekam.
Der Schaden, den diese Menschenmassen und ihre Rücksichtlosigkeit verursachten, brachten die Eigentümer dazu, ihr Haus schützen zu wollen. Sie setzten gerichtlich durch, dass sie ein "Eigentum auf das Bild" ihres Hauses erhielten. Das bedeutet, jegliche kommerzielle Darstellung des Castel meur ist seither untersagt. Und damit wird man keine Postkarte, keinen Kalender und keine der beliebten Tabletts, Mauspads, Tischsets und ähnliche interessante Dinge, die es mit Fotos in den Souvenirläden gibt, finden. Dieses Glück ist damit auf Chateau Costaere, Phare de Mean Ruz und andere schöne Dinge beschränkt. Wollten Sie schon immer mal in einer Postkarte leben? Ich nicht. Deshalb verstehe ich die Eigentümer des Castel meur. 
Castel meur - die Bewohner sind zu Hause
Und deshalb steht seit einigen Jahren - ich vermute damit seit genau 2004 - immer ein Auto vor dem Haus. Das tolle Fotosouvenir ist damit beschädigt. So wie auf diesem Foto, das ich mache, als ich zurück zum Parkplatz gehe. 

Räumlich verhindert eine Mauer den Zugang zum Häuschen weit über die Grenze des Privatbesitzes hinaus, doch das hat andere Gründe. Sie wurde von der LPO (Ligue pour la Protection des Oiseaux - Vogeschutzliga) veranlasst. Denn es soll verhindert werden, dass die Horden von Touristen weiterhin unbekümmert in diese Naturräume eindringen.
Zwischen den Kieseln am Ufer nistet ein seltener Vogel. Der Regenpfeifer. Aber es muss nicht nur geschützt werden. Das ganze Gelände ist in Gefahr, vom Hochwasser überflutet zu werden, weil skrupellose Touristen die großen Kieselsteine als Souvenir mit nach Hause nehmen. Ein Stein macht nichts, aber wenn jeder dieser Tausenden von Menschen einen einsteckt, gibt es den Schutz sehr schnell nicht mehr - ein Problem, das überall da, wo diese großen Kiesel das Land schützen, auftritt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sammelten die Anwohner die Steine, u.a. für den Hausbau. Heute sind es die Touristen, die ein Souvenir wollen.

Im März 2008, als dieser große Sturm viel von der Küste beschädigte und einiges zerstörte, hätten fast die riesigen Wellen Castel meur zerstört. Mit extremer Höhe und ungeheurer Gewalt zogen sie die Kieselsteine über die 150 Jahre alte Mauer. Fast einen Meter hoch schoben sich die Steine dort zusammen.
 Ein weiteres Fotomotiv, das noch legal verwendet werden kann, befindet sich am Ende der Landzunge. Ein Pfad wurde im geschützten Gelände gelegt, damit die Touristenmassen es erreichen. Es handelt sich um das zweite Wahrzeichen von Plougrescant: Le Gouffre - der Abgrund.
Als ich hier zum ersten Mal war - ich denke, es war in 1999 - konnte ich noch kreuz und quer über die Felsen und durch die Heide gehen. Doch wie überall, wo Touristenmassen durchlaufen, haben die Bemühungen der Naturschützer, die Küste vor der Erosion zu schützen - und natürlich auch um den seltenen Vogelarten eine Chance zu geben - dazu geführt, dass die Freiheit der Gäste eingeschränkt wurde. Schon im nächsten Jahr traute ich meinen Augen nicht, als ich gezwungen wurde, mich auf den damals neu angelegten Pfaden zu bewegen. Auch le Gouffre selbst, diese gewaltigen Felsen mit dem Abgrund in ihrer Mitte, in dem bei Hochwasser die Gischt brodelt und man einen Eindruck vom Eingang zur Hölle haben konnte, war nicht mehr frei zu beklettern. Man konnte und kann noch immer hochklettern, aber nicht mehr überall.

Bei meinem ersten Besuch stand vor den Felsen in einer Felssenke, die zum tobenden Wasser führte, ein Tisch aus Stein, auf den ein Pentagramm und andere interessante Zeichen gemalt waren. Es war klar, was hier stattgefunden hatte. Hexen hatten sich getroffen. Ich fand das damals amüsant. Doch ein Jahr später war der Tisch noch zu sehen, aber man konnte ihn nicht mehr erreichen, genau so wenig wie die Schlucht zwischen den Felsen, den wahren Abgrund.

Das sind die Nachteile des Naturschutzes. Meine erste Reaktion damals war: Da wird aus der Bretagne ein Freizeitpark gemacht - aber das Gegenteil ist der Fall. Nicht die Natur wird künstlich eingesperrt, sondern der Mensch wird gezwungen, draußen zu bleiben. Und das ist nicht nur wegen der Vögel notwendig, sondern auch wegen der Pflanzen, die verhindern, dass die Küste abgetragen wird. Wenn Millionen von Füßen die Erde zusammentrampeln und nichts mehr wachsen kann, dann hat der Wind leichte Beute. Er trägt die Erde ins Meer - die Felsen werden freigelegt und können an vielen Stellen auch ins Rutschen kommen.
Seit diesen Anfängen hat der Küstenschutz sehr große Fortschritte gemacht. Pointe du Raz, der südliche Zipfel der Halbinsel Bretagne, ist ein gutes Beispiel, auch diese Landspitze hatte ich noch frei zugänglich erlebt. Heute sind schon die Parkplätze weit ins Innere verbannt - und auch dort darf man nur noch auf Wegen gehen.

Donnerstag, 19. September 2013

Île Grande - die erste Umrundung


Die Île Grande ist über eine kurze Brücke mit dem Festland verbunden. Eigentlich merkt man nicht, wenn man von der Küstenstraße von Trégastel nach Trébeurden rechts abbiegt, dass man auf eine Insel fährt, vor allem bei Ebbe sieht man erst einmal kein Wasser.
Doch es ist eine Insel.
Ein Küstenweg führt um sie herum, der mit 7 km angegeben ist. Wer nun denkt, man schafft ihn in knapp 2 Stunden, hat sich geirrt. Es gibt Leute, die schaffen die Umrundung schneller, sehen dabei jedoch nichts außer die Beschaffenheit des Pfades, auf den sie ihre Füße knallen. Der Küstenweg ist eine beliebte Joggerstrecke. Über die Mittagzeit traben die Runde. Dabei müssen sie auf dem teilweise sehr schmalen und unwegsamen Pfad ziemlich auf ihre Füße achten, sonst können sie schnell längere Zeit gar nicht mehr gehen.
Ich aber gehe den Weg - zwar nicht gerade gemächlich, aber doch ruhig und mit Genuss. Ich sehe beim Gehen. Mehrmals werde ich während meines Aufenthaltes diese Insel umrunden. Ich mache das jedes Jahr - und es ist nie langweilig.



Die Insel und die kleinen Inseln oder besser Felshäufen um sie herum wurde einst abgebaut. Der graue Granit wurde herausgehauen und aufs Festland gebracht. Man erkennt die Steinbrüche, teilweise auf der Insel, teilweise am Felsenrand. Oft liegen auch große Quader am Wegrand, in denen man die Narben der Werkzeuge, die die Steinhauer benutzten, sieht. Auch die kleinen, unbewohnten Nachbarinseln haben diese Narben. Das Steinehauen war ein hartes Geschäft. Die Männer mussten bei Wind und Wetter die Steinquader heraushauen und, abhängig von den Gezeiten, an Land schaffen. An manchen Stellen sieht man noch die metallenen Schienen der Loren, die sie wohl irgendwann zur Hilfe hatten.
Das Denkmal für die Steinhauer
Seit einigen Jahren ist nun an der Nordküste, neben einem der Steinbrüche, der senkrecht ins tobende Meer hinunterstürzt, den Steinhauern ein Denkmal gesetzt.
Ich beginne meinen Rundweg an der Segelschule. Warum da fünf Feuerwehrautos, schön poliert und ordentlich aufgereiht, stehen, entzieht sich meiner Kenntnis, hübsch anzuschauen sind sie. Ich parke halt in der vorderen Reihe.
Dann laufe ich los, im Uhrzeigersinn. Vielleicht werde ich ein anderes Mal anders rum laufen oder an einem anderen Parkplatz beginnen - doch auch ohne solche kleinen Abwechslungen wird diese Insel nicht langweilig.
Ich habe sie für mich in einige Etappen eingeteilt, die tatsächlich ziemlich unterschiedlich sind. Von der Segelschule geht es zuerst an der Ostküste entlang durch ein Kiefernwäldchen, Dünen und Gras. Gegenüber liegt Landrellec und dazwischen die Île d'Aval, die Apfelinsel, wie viele Inseln im Privatbesitz. Sie wird für das bretonische Avalon gehalten. Artus soll auf ihr beerdigt sein. Bei Ebbe könnte man hinüber laufen, was ich auch schon mal getan habe, doch es ist verboten, Inseln im Privatbesitz zu betreten. Die Hochwassergrenze ist die Grenze des Privateigentums. Was mich nicht hindert, trotzdem solche Inseln zu betreten, wenn dort niemand ist. Doch auf der Île d'Aval war ich nur damals 1987, als wir zum ersten Mal in der Bretagne waren. Sie hat sich inzwischen sehr verändert, wurde von einem Kartoffelacker in ein parkähnliches Gelände verwandelt. Ein Haus wurde etwas verborgen hinter Kiefern gebaut. Das sieht man durch das Fernglas. Als es noch den Kartoffelacker gegeben hat, sah man auch einen Menhir und ein altes Steinkreuz. Beide sind noch vorhanden, nur nicht mehr so gut zu sehen. Es geht die Sage, dass eines von beidem Artus Grab sei - welches, darf erraten werden... Ich tendiere zum Menhir.  
Die nächste Etappe fängt an einem kleine Parkplatz an und führt zuerst einige Meter an einer kleinen Straße entlang, die von der Zufahrtstraße abbiegt. Diese Strecke ist die einzige, bei der der Hund an die Leine muss. Wenn die Zufahrtstraße überquert ist, geht es entlang des verlandeten und nur bei hohen Koeffizienen wirklich überspülten Gebietes zwischen Festland und Insel. Einige Zeit läuft man an den Häusern entlang, deren Gärten bis zum Wasser oder besser den Pfad reichen. Der Ort ist geschützt auf der Festlandseite gebaut, eingeschmiegt in die Höhen, die sich gegen Norden richten.
Auf der höchsten Höhe gibt es eine schöne Allée couverte - ein Tumulus.
Doch um den zu sehen, müsste ich innen durch die Insel  hinauf auf die Höhe gehen. Oder ein anderes Mal mit dem Auto hinfahren.

Montag, 16. September 2013

Eingewöhnung

Akklimatisieren nennt man das, was Körper und Geist so durchmacht, wenn er plötzlich in ein anderes Klima und das auch noch auf Meereshöhe versetzt wird. Das Resultat: Müdigkeit, Erschöpfung und - ja, auch noch - unbändiger Appetit. Und das in einem Land, in dem es viel leckeres gibt.
Am Montag bin ich ziemlich gerädert. Aber - am Montag ist im Ort Markt.

Wochenmarkt 

Jeder, der Frankreich kennt, kennt sie, diese Wochenmärkte, die in jedem Ort an einem bestimmten Tag stattfinden, meist von morgens bis mittags.Dort findet man neben den "normalen" Angeboten wie Obst und Gemüse vom Großmarkt, Kleidungsstücken, Geschirr und anderen wichtigen Dingen des täglichen Lebens auch die jeweiligen regionalen Anbieter mit ihren teils extrem leckeren Produkten. Hier in der Bretagne sind das Meeresfrüchte und Fisch, doch auch das gibt es in ganz Frankreich und ist meist vom Großmarkt in Paris. Damit kann man es gleich beim günstigeren Fischhändler vor Ort kaufen.
Aber es gibt kleine Stände mit Käsespezialitäten, Ziegen-, Schafs- und Kuhkäse, Frischkäse gewürzt oder auch nicht, harte, alte Käsesorten, selbst vom Ziegen-, Schafs- oder Kuhbauer hergestellt.
Man trifft Anbieter mit Fischpasteten, Enten- und Gänsepasteten - nun ja, die EU hat's verboten, Frankreich hat es zum Kulturerbe erklärt, entscheiden muss jeder selbst. Marmeladen oder Liköre aus Beeren werden angeboten. Honig von bretonischen Bienen. Schmeckt der anders als der von zu Hause? Und natürlich Cidre und Chouchen, Honigwein. Schmeckt wie Met, wer hat's erfunden? Die Kelten natürlich - die Druiden tranken ihn und verbrachten Wunder. Yec'hed mad!
Ab und an gibt es auch Kunsthandwerk. Im Sommer sicher mehr als jetzt. Ab sofort wird der Markt wöchentlich kleiner werden. Die besonderen Stände mit den Leckereien und den für die Touristen interessanten Artikel werden wegbleiben. Denn die Leute, die hier leben, brauchen das nicht, können es sich vermutlich auch nur selten leisten.
La Couronne du Roi Gradlon
Hier in Trégastel Plage findet der Markt am Montagmorgen statt. Mein Ritual an diesem ersten Montag nach meiner Ankunft ist: Eine Wanderung über die Krone von König Gradlon in den Ort, zur Touristeninformation, um einen Plan Marée, eine Gezeitentabelle, zu erstehen, dann einen Gang über den Markt, um einige Leckereien zu kaufen. Danach eine Runde um die Presque'île Renote und zum Forum von Trégastel, um dort Muscheln zu essen. Dann über den Küstenweg zurück nach Hause.Ich trinke noch schnell einen Kaffee und packe meine Sachen. Der Rucksack muss mit, damit die gekauften Leckereien unkompliziert transportiert werden können.
Ich trete aus dem Haus und sehe die dunkle Wolke über der Bucht. Ich will sie aber nicht sehen und gehe los. Als ich nur wenige Meter weit gegangen bin, fängt es an zu regnen. Meine Vernunft teilt mir mit, es macht keinen Sinn, schon nass auf Gradlons Krone zu klettern. Also - zurück nach Hause.
Ich beschließe, mit dem Auto zu fahren und dann zu schauen, was machbar ist.
Als ich in den Ort hineinfahre, bin ich fasziniert.Markt auf der Straße

Der Markt findet immer zu größten Teilen auf dem großen Platz am Kreisverkehr statt. Doch das Gelände reicht für die vielen Stände nicht aus. Also zieht er sich entlang der großen Straße, auf der alle, die nach Trégastel Plage kommen, fahren müssen, auch der öffentliche Bus. In allen vorigen Jahren fuhren die Autos mitten zwischen den Ständen, die rechts und links an der Straße standen, hindurch, auch eben der Bus. Und ich, wenn ich mal so dumm war, das zu tun.
Als deutsche sicherheitsbewusste Marktveranstalterin bin ich noch jedes Jahr fasziniert gewesen, dass dies möglich ist. Autos zwischen Menschen zu Fuß. In Deutschland absolut unmöglich.
Doch jetzt ist die Straße gesperrt. Eine Schranke verhindert das Einfahren. Man muss nach links abbiegen, in eine Einbahnstraße Richtung Forum. Ich bin höchst amüsiert, weil erstens endlich gesperrt ist - wobei man allerdings schließen muss, dass etwas passiert ist, was natürlich nicht so schön ist. Ich denken nicht, dass auch hier die EU eine Regel geschaffen hat. Das muss ich noch erfragen. Und zweitens weiß ich, dass Ortsunkundige hoffnungslos in der Sackgasse feststecken, vor allem von der entgegengesetzten Richtung her. Und was ist mit dem Bus, der mindestens ein Mal während der Marktzeit fährt?Ich biege also ab und beschließe, zum Forum zu fahren und dort zu parken, nicht die Querstraße, die die Umleitung darstellt, zu nutzen. Ich bin ja nicht ortsunkundig.
Ich parke also auf dem großen Parkplatz am Forum und gehe mit dem Hund an der Leine zur Bucht, da ich weiß, er muss erst einmal einige Geschäfte verrichte, was im Ort keine gute Idee ist.
Während dessen sehe ich die ersten Autos mit belgischer und britischen Kennzeichen, die hier in der Sackgasse landen. Sie sind aus der anderen Richtung an der Schranke gescheitert, rechts abbiegend der Umleitung gefolgt und nicht wieder links abgebogen, um den Bogen zu beenden, sondern geradeaus gefahren. Hier geht es zur Île Renote, die eine Halbinsel ist, wo also keine Durchfahrt möglich ist. Außerdem endet hier die Einbahnstraße, die ich gekommen bin - man kann nicht weiter fahren als auf den Parkplatz, auf dem mein Auto steht. Gerade aus ist das rote Schild mit dem weißen Balken.
Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie die Leute sich gefangen in dieser Sackgasse fühlen. Und ich finde es extrem lustig.Schadenfreude ist manchmal wirklich genüsslich.
Ich aber gehe unten auf dem Meeresboden entlang in den Ort zurück, gehe  für meinen Tidenplan zur Touristeninformation und dann, wieder im Regen, kurz über den Markt, um festzustellen, dass die kleinen Stände mit den leckeren Sachen gar nicht da sind. Nur ein Käsestand finde ich, doch im Regen macht es keinen Spaß, sich mit Ziegenkäse zu beschäftigen.
Ich esse unter dem Vordach eines Crêpesstand einen Crêpe mit Caramel de Beurre salée, Karamell mit gesalzener Butter. Mein Frühstück. Als ich fertig bin, hat der Regen aufgehört.
Ich wandere die Straße entlang zurück zum Auto und fahre zum Parkplatz der Île Renote, auch wenn das nicht mal ein Kilometer ist. Doch die Strecke dazwischen kann man guten Gewissens meiden.

Presqu'ile Renote - die Halbinsel

Presqu'île Renote
Die Île Renote ist ein Felsenzipfel Richtung Osten, der etwa einen Kilometer ins Meer hinausragt. Rechts bildet sich dadurch die Bucht und der Hafen von Trégastel. Gegenüber liegt mal wieder die Île Costaere mit ihrem Schloss.
Hinter der Île Costaere sieht man den Phare de Mean Ruz, den Leuchtturm von Ploumanac'h und die imposanten roten Granitsteine am Sentier douanieres.
Postkartenmotive live gibt es hier hier allüberall.
Ich gehe an der Nordküste der Halbinsel entlang, weil da der Wind von hinten bläst. Auf der anderen Seite ist es geschützter, deshalb ist der Uhrzeigersinn bei Wind besser, bei Windstille ist es besser gegen den Uhrzeigersinn.
An der Spitze setze ich mich einige Zeit auf meinen Lieblingsstein und sinniere in die Bucht hinaus. Wieder geht mir der Text durch den Kopft: Sitting on a rock of the bay. Otis Redding war zwar an einem Dock gesessen, aber den gibt es hier nicht. Felsen dagegen mehr als genug. Watching the tide roll away... Yes.
Früher konnte ich von hier aus ab und zu Herrn Hallervordens Unterwäsche und die Betttücher bewundern, wenn sie im Wind trockneten, aber das Schloss ist seit mindestens drei Jahren wohl meist unbewohnt, nun da er sich lieber um ein Theater in Berlin kümmert.
Früher traf ich ihn auch so ab und an, an der Apotheke, im Supermarkt, auch mal in einem Laden mit bretonischem Schnickschnack - und war natürlich dann keine Deutsche, erkannte ihn also nicht, denn als Fan wollte ich nun wirklich nicht missinterpretiert werden. Doch nun hat er Trégastel wohl verlassen. Schade eigentlich. Für ihn.
Schließlich, nach ein paar Hundebegegnungen, beginne ich den Rückweg auf der Seite der Halbinsel, die dem Festland zugewandt ist. Nicht ganz offiziell ist hier der Pfad durch einen Felsenhaufen, der an einer Stelle sehr eng ist und wo man sich hindurchwinden muss. Netter Weise passe ich auch dieses Jahr durch, doch ich vermute, im Zeitalter der schwergewichtigen Menschen müssen viele hier umkehren und den offiziellen Weg nehmen. Imposant ist dieses Felsenchaos allemal, auch wenn man sich nicht hindurchschlängeln mag.
An einer Stelle hat das Meer seit letztem Jahr mal wieder zugeschlagen und den Weg hinunterbrechen lassen. Der neue Weg führt in einem Bogen an der Stelle vorbei. Doch dadurch ist die Wiese, auf der sich immer zur Freude meines Hundes unzählige dieser winzigen Kaninchen tummelten, ungeschützt. Sicher zeigen sich die kleinen Tierchen nicht mehr so einfach an der Oberfläche.
Mein Hund hat niemals eines gefangen, dazu ist er gar nicht in der Lage. Er lässt die Tierchen zwischen seinen Beinen hindurch hüpfen und schaut nur fasziniert zu. So ist er eben, mein gefährlicher Hund.
Als ich am Auto bin, fängt es wieder an zu regnen. Nett von dem Wetter, dass es mich im Trockenen um die Île Renote gehen ließ.
Ich fahre zum Forum zurück und hüpfe durch Regen und Sturm zum Restaurant, dessen Muscheln ich durchaus zu schätzen weiß. Als Spezialität wird dort neben verschiedenen Miesmuschelgerichten auch Crêpes und Pizza angeboten. Ich erhalten einen hundesicheren Tisch.
In Frankreich kann man fast überall in Restaurants oder Hotels den Hund mitnehmen. Französische Hunde sind auch sehr anständig, fallen selten auf. Und sie benehmen sich auch untereinander sehr zivilisiert.
Mein Hund, der nun zum 14. Mal mit mir den Herbst in der Bretagne verbringt und auch sonst immer mit mir unterwegs ist, hat diese französische Hundekultur unkompliziert angenommen. Im Restaurant legt er sich unter den Tisch und ward nicht mehr gesehen.

Sonntag, 15. September 2013

Île Tanguy

Als ich aufwache, weiß ich erst einmal nicht, wo ich bin. Oder besser, ich kann es nicht fassen, dass ich hier bin. Ich bin unsäglich glücklich.
Die Sonne scheint - Grund genug, aufzustehen und das umzusetzen, was ich mir für diesen ersten Tag vorgenommen hatte.
Mein Haus liegt etwas zurückgesetzt am Ende eines Zipfels von Trégastel Plage, genau genommen ist es eine Halbinsel, da auf drei Seiten vom Meer umgeben. Links gegenüber im Südwesten liegt die Halbinsel von Landrellec, davor die kleine Insel Tanguy. Und zu der wollte ich heute gehen. Das hatte ich mir seit langem vorgenommen. Letztes Jahr war ich nicht ein einziges Mal drüben gewesen, da von Anfang an das Wetter zu schlecht gewesen war.
Heute jedoch ist es gut - zumindest noch.
Die Bucht ist frei, zumindest Richtung Landrellec. Ich weiß von gestern, dass das nachmittags Hochwasser sein würde. Einen Zeitplan würde ich erst morgen im Centre Touristique erhalten können.

Die Reise


Es ist weit. Eine endlose Strecke von meinem Wohnort in Baden-Württemberg ins Traumland am westlichen Ende Europas. Knapp 1200 km sind es. Inzwischen kenne ich jeden Kurve - was einfach ist, da es nur wenige sind, wenn man mal über die Vogesen hinweg ist. In den Ebenen Frankreichs sind Kurven relativ selten.
Doch zuerst kommt der Schwarzwald. Und der ist gar schrecklich im Weg. Man kann ja nun die A8 nach Karlsruhe nehmen, was ein Umweg ist. Doch natürlich kommt man schneller voran. Wenn man voran kommt. Das verhindern aber Baustellen. Sehr schön, dass die A8 dreispurig ausgebaut wird, und es sind auch nur noch wenige Etappen, die noch nicht ausgebaut sind oder gerade ausgebaut werden. Aber diese haben es in sich. Seit Jahren fahre ich immer am Donnerstag nach dem 2. Septemberwochenende los. Ich lasse mir Zeit. Ich fahre gerne Auto, aber nicht endlos. Deshalb übernachte ich zwei Mal. So mache ich es, seit ich in die Bretagne fahre. Am ersten Tag kann ich somit erst in Ruhe Mittags losfahren, da die erste Etappe eigentlich nur dazu dient, den nervigen Schwarzwald und die Vogesen zu überwinden. Der Vormittag dient dazu, alles so zu hinterlassen wie es sein soll, wenn ich zurückkomme. Und ich kann noch ein letztes Mal ins Büro, um die Buchführung für die lange Zeit in Ordnung zu machen. Dieses Jahr war ich früh fertig, konnte schon vor Mittag aufbrechen. Doch dann kam die alternative Post. Die Deutsche Post hatte schon rechtzeitig geliefert, die heutigen Rechnungen waren bereits gebucht. Wenn man so lange weg ist, darf man nicht den Überblick über das Konto verlieren. Schließlich wollen alle Rechnungen bezahlt sein. Doch ab einem gewissen Punkt und mit einer gewissen Erfahrung kann man schätzen. Die Rechnungen werden ohnehin abgebucht, es muss nur genügend Geld auf den Konto sein. Leider schicken viele Firmen inzwischen mit den alternativen Postdiensten - und die kommen später am Tag. Heute kam die Dame im strömenden Regen, als ich gerade ins Auto einsteigen wollte - für ihre Begriffe also früh. Fluchend nahm ich den Stoß entgegen und ging ins Haus zurück, fuhr den Rechner wieder hoch und buchte. Nur um bestätigt zu bekommen, dass meine Schätzung vorher absolut korrekt gewesen war und die ganze Aktion auch nach meiner Rückkehr hätte stattfinden können. Eine halbe Stunde später - der Rechner schlief wieder, der Strom war abgezogen und der Drucker ausgestellt - fuhr ich dann endlich wirklich los. Es regnete in Strömen. Die Steige runter ins Flachland war noch immer wegen des Bergrutsches Anfang Juni gesperrt, ich musste also einen anderen Abstieg nehmen. Die Verkehrsnachrichten sprachen von 10 km Stau auf der A8 Richtung Karlsruhe. Also beschloss ich, eine ganz andere Strecke über den Schwarzwald zu nehmen. Mal sehen, was das Navi dazu sagen würde.

Das Navi und ich sind meist unterschiedlicher Meinungen. Ich fahre im Andenken an meinen Seefahrergroßvater nach den Sternen - sprich, ich richte mich intuitiv nach den Himmelsrichtungen, nachdem ich mich bei unbekannten Gebieten vorher mit der Karte vertraut gemacht hatte. Den Schwarzwald allerdings kenne ich, da brauche ich keine Karte.

Das Navi richtet sich nach der Straßenhierarchie. Es wird bei alternativen Möglichkeiten immer zuerst die Autobahn wählen, danach die Bundesstraße. Nun ja, letztendlich lenke ja ich. Doch manchmal macht es dann doch Sinn, dem Navi zu folgen, weil es auch einmal die kürzere Route kennt. Was allerdings nur funktioniert, wenn diese Route nicht durch eine Baustelle blockiert ist. So geschah es im Neckartal. Ich fuhr der Umleitung nach gerade aus weiter. Dann bog die Umleitung nach links ab - das Navi wollte mich weiter nach Horb schicken. Das sind die Feinheiten. Ich folgte, weil logisch, der Umleitung und hatte natürlich Recht, es war kürzer.
Dennoch, die Überquerung des Schwarzwaldes erfordert Geduld und Ausdauer. Denn wenn keine Kurven die Geschwindigkeit bremsen, tun es LKWs. Ich fuhr dann von Freudenstadt bis auf die Schwarzwaldhochstraße hinter einem LKW her, der sich nie schneller als 70 km/h vorwärtsbewegte. Das ist keine Geschwindigkeit, mit der man Hunderte von Kilometern zurückgelegt bekommt. Zum Glück entschied er sich an der Abzweigung auf der Schwarzwaldhochstraße im letzten Moment, doch nach Baden-Baden weiterzufahren. So konnte ich wenigstens den Berg hinunter in meiner Geschwindigkeit fahren.
Im Rheintal wurde das Wetter besser, in Frankreich schien die Sonne.
Ich hatte das Hotel bei Nancy gebucht. Es gehörte zu einer Kette, die ich oft nutze. Dieses Haus kannte ich aber noch nicht.
Obwohl ich keine 300 km gefahren war, war ich gerädert. Ich gönnte mir im Steakhaus nebenan eine Magret de Canard mit Pommes de Terre au four - Entenbrust mit Ofenkartoffel - und schlief danach wunderbar.
Am nächsten Tag war Freitag der 13. in 2013. Ich bin sicher, viele waren überzeugt, das konnte nicht gut gehen. Ich dachte nicht daran, wurde erst abends daran erinnert. Und fand, dass ich dafür die Francelienne eigentlich ganz gut bewältigt hatte.
Denn am Freitag ist die große Strecke zu überwinden, die bis Rennes führt. Das sind knapp 700 km. Bis Paris nehme ich nie die Autobahn, sondern fahre die RN4, die zu großen Teilen vierspurig ausgebaut und vom Süden Deutschlands viel kürzer ist.
Um Paris herum fahre ich immer die berühmte Francelienne, den äußersten Kreis um Paris. Manchmal kann das ganz schön haarig sein, da diese Route sehr befahren ist - und die Pariser nicht sehr rücksichtsvolle Autofahrer sind. Doch heute ging alles problemlos. Es gab keinen Stau. So gesehen: wer am Freitag, dem 13., die Francelienne so gut bewältigt, der kann nicht behaupten, einen Unglückstag erlebt zu haben.
Für die Strecke von Paris bis Rennes ist die Autobahn am Besten. Ich habe alle Alternativstrecken ausgetestet. Man wird schon wegen der vielen Kreisverkehre verrückt. Und es dauert einfach zu lange. Die knapp 30 Euro Maut sind es mir wert, schnell und unkompliziert anzukommen. Autobahnfahren in Frankreich ist meist sehr viel unproblematischer als in Deutschland. Man darf nicht schneller als 130 km/h fahren, woran sich höchstens mal eine Limousine mit deutschem Kennzeichen nicht hält. Und die Autobahnen sind meist verhältnismässig leer, ein Vorteil der Maut. (Ausnahme: Die Route Soleil, die Autobahn an der Rhone nach Süden, aber das ist einen anderen Blog wert...)
Hinter Laval fängt die Bretagne an - und die Maut hört auf. In der Bretagne sind die zweispurigen Straßen Mautfrei, was historisch bedingt ist - keine Abgaben von den armen Bretonen. Allerdings sind es keine Autobahnen, sondern Schnellstraßen - und damit ist die Höchstgeschwindigkeit 110 km/h. Man tut gut daran, daran zu denken, wenn man durch die letzte Mautstation hindurch ist, denn die Straße ist genau so breit und ausgebaut wie vorher. Mir fiel es dieses Mal erst nach einigen Kilometern ein, doch ich glaube nicht, dass ich geblitzt wurde. Vor einigen Jahren war ca. 10 km nach der Mautstation ein mobiles Blitzgerät aufgebaut. Ich fuhr mit 130 km/h auf der linken Spur hinter einem Franzosen her, als es plötzlich blitzte. Das rote Auto wurde ganz langsam und wechselte wie ein getretener Hund auf die rechte Spur. Er wurde wohl seinen Führerschein los.
Ich dagegen fuhr damals weiter, in der Erwartung, am nächsten Parkplatz herausgezogen zu werden. Doch nach drei oder vier Parkplätzen wusste ich, der Kelch war an mir vorüber gegangen.
Heute bin ich vorsichtiger, denn heute kann man auch in Deutschland von den französischen Behörden belangt werden. Und es ist teuer, wenn man zu schnell ist. Sehr teuer.
Bis ich auf der Rocade von Rennes ankam, die ich in nördlicher Richtung nehmen musste, um die Stadt zu umfahren, war Hauptverkehrszeit. Doch ich kam erstaunlich gut voran. Nur kurz kam der Verkehr ins Stocken. Und dann musste ich auch bald abbiegen, um zum Hotel zu gelangen.

Degemer mat!

Breizh

Die Frage, die mir viele stellen: Warum treibt es dich seit vielen Jahren immer wieder in die Bretagne?
Antwort: Weil die Engländer meinen Hund nicht wollen - und ohne den fahre ich nirgendwo hin.
Inzwischen würden die Briten die Einreise des Hundes akzeptieren, aber na ja, nun hat mich schon die Bretagne mit ihrem Bann belegt. Zu spät, Briten...
Warum aber überhaupt keltische Länder? Das frage ich mich selbst. Ich bin hier zu Hause. Warum auch immer. Das war so, als ich zum ersten Mal britischen Boden betrat - ich war nach Hause gekommen. Das war 1970 und ich 17 Jahre alt. Seither ließen mich die britischen Inseln nicht mehr los. Später dann war mir der Hund wichtig - und ich musste die Inseln gegen die Halbinsel der Bretagne tauschen.  

Little and Great Britain 

In vielem sind sie sich ähnlich, die beiden Britannien dieseits und jenseits des Kanals. Keltisch waren sie beide. Zuerst besiedelten die Kelten auf ihren Wanderungen vom Süden her die Bretagne und mischten sich mit den vorigen Kulturen, wie sie es immer getan hatten - dann setzten sie über und machten dasselbe auf den Inseln. 
Die Römer überrannten die Kelten der Bretagne - bis auf jenes bekannte kleine gallische Dorf natürlich - und versuchten das auch auf den Inseln. Dort klappte das aber nicht so ganz. Und Hadrians Wall setzte dem Vormarsch endgültig ein Ende.
Nach der Zeitenwende kamen die Germanen. Wikinger, Angeln, Sachsen besetzten die größte Insel und benannte sie um - in Angelssachsen - Angelland - England. Die Kelten flohen über den Kanal und besiedelten die Bretagne ein zweites Mal. In der Zeit kämpfte König Artus und die Seinen gegen Drachen und Sachsen. Zauberer Merlin kam aus Klein-Britannien über den Kanal und mischte mit. Auf der Flucht vor den Germanen nahmen die Briten die Sagen mit und pflanzten sie zur Freude heutiger Touristen in der Bretagne ein. Die Saat wurde zuerst von den Romantikern des 19. Jahrhunderts und dann von deren Nachfolgern, den Tourismusverbänden, fleißig weitergegossen, was bis zu heutigen Straßennamen und Felsunterkünften einiger Sagengestalten führte. Artus, Viviane und Merlin wurden an mehreren Stellen gesichtet. Broceliande, der Wald bei Rennes, ist ein Zentrum der Mystik. Mein Hund Merlin konnte einst ans eigene Grab pinkeln. Auch im Wald von Huelgoat findet man Artus, Lancelot und Gwynivieve durch die Bäume streifen. Und dazwischen versuchen einige Inselchen sich als Avalon. Besonders die Île d'Aval neben der Île Grande bei Pleumeur Boudou könnte es sein, denn angeblich ist dort das Grab von Artus. Man muss nur entscheiden, ob er unter dem Kreuz oder dem Menhir liegt.
Die damaligen Briten waren bereits von Saint Patrick und seinen Kumpeln christianisiert, sodass die Bretagne eines der ersten Gebiete im Norden des Kontinents war, das christlich wurde. Diesem Fakt haben wir die unzähligen winzigen Kirchlein gleich neben Menhiren, an Quellen, auf den Felsvorsprüngen am Meer und auf Dolmen zu verdanken. 

Unter den geflohenen Kelten muss es einige eigentümliche Gestalten gegeben haben, denn sie siedelten genau auf diesen Stellen, wo heute die Kirchlein stehen, und taten Wunder. Manche einer unterhielt sich mit Tieren, ein anderer aß Zeit seines Lebens einen einzigen Fisch, der sich immer wieder regenerierte. Seltsame Dinge geschahen mit diesen Herren, die alle ganz alleine an diesen einsamen Stellen ihr Leben verbrachten. Eremiten waren es. Und sie waren heilig. 9999 soll es in der Bretagne geben. Rom ist nicht ganz dieser Meinung. Doch mit Rom hatten sie auch nicht viel am Hut. 
Die Kirchlein - und auch die neueren großen, imposanten Kirchen der Bretagne haben alle eines gemeinsam: Man findet einen Calvaire - ein Standbild, auf dem die Geschichte Jesus eingemeiselt wurde - und eine Quelle. Oft ein Menhir oder auch mal eine Krypta aus einem Dolmen. Die alten Stätten aus vor-keltischer Zeit, die megalithischen Stätten, wurden gerne in christliche Stätten einbezogen. Manchmal wurden die Menhire auch einfach in Kreuze umgewandelt. 
Massenhafte Steine, von Menschen dort hingestellt, gibt es in der Bretagne und in Großbritannien. Und überall sonst - wenn man sich für sie interessiert, findet man sie. Megalithische Stätten sind keineswegs auf "keltische Gegenden" beschränkt. Nur sind sie hier am bekanntesten. Der Menhir, der Dolmen, der Cairn - auch lateinisch Tumulus genannt - und schließlich der Cromlec'h, der Steinkreis, in dem Viviane Merlin gefangen hielt. Die Archäologen haben ihnen weltweit bretonische Namen gegeben. Den hohen Stein - Menhir. Den Dolmen - ein Gebilde aus drei Steine, zwei senkrechten, einer oben auf als Deckel. Der Cairn - ein Gebilde aus mehreren Steinen, senkrechten, die mit waagrechten bedeckt sind - und dann mit Erde und Steinen zu einem Hügel aufgeschüttet wurden. 
Es waren nicht die Kelten, wie gerne behauptet wird, die diese Gebilde schufen, sondern die Menschen vor ihnen. Die Kelten haben sie dann nur in ihre spirituelle Mystik, in ihre Kultur, mit eingebaut. Und Gräber aus Steinen zu bauen, das liegt in der Natur der Sache. 
Diese Steine und die Landschaft sind eins. Das ergibt die Keltische Landschaft, mit ihren hecken gesäumten Feldern, den Häuslein aus Granit, den zwei Kaminen, die die Häuslein so typisch machen - auf beiden Seiten des Kanals.
Sogar die Sprachen stammen voneinander ab. Bretonisch und Wallisisch - Welsh - haben wohl viele Ähnlichkeiten, so viele, dass sich die Menschen bis heute verstehen. Auch das ausgestorbene Cornish muss dem Bretonischen ähnlich sein. In wie weit Gälisch und Bretonisch verwandt sind, ist nicht ganz klar, offensichtlich haben sich diese Sprachen auseinander entwickelt. 
Doch den keltischen Sprachen auf beiden Seiten des Kanals ist ähnliches passiert: Sie wurden fast vernichtet. Englisch - diese Mischung aus Germanisch und Französisch mit einem Rest Keltisch - übernahm die Britischen Inseln. Französisch wurde den Bretonen von den französischen Besatzern aufgezwungen. Bis in die 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts war es auf den Schulhöfen verboten, Bretonisch zu sprechen. 
Seither aber hat sich etwas getan. Bretonisch wurde vor dem Untergang gerettet. Die Bretonische Kultur in Sprache und Musik wird gepflegt. Die Bretonischen Separatisten haben erreicht, dass mindestens im Westen die Straßenschilder zweisprachig und die Tafeln für Touristen auch in Bretonisch gehalten sind. 
Bretonisch ist keine klangvolle Sprache. Ich finde, sie klingt wie das Bellen eines Hundes. Aber egal wie sie klingt - es ist eine Sprache und sie muss erhalten werden. Und deshalb habe sogar ich einige Wörter gelernt - und bemühe mich, die bretonischen Ortsnamen den französischen vorzuziehen.  

Warum fasziniert mich diese Gegend so sehr?  

Nicht dass ich nicht andere Gegenden erforscht hätte. Besonders Frankreich kenne ich einmal rundum - und große Teile im Landesinneren. Doch die Bretagne ist es, wo ich sein möchte. Am Liebsten für immer. Das geht leider nicht, da ich keine Schriftstellerin bin, die es sich leisten kann, von dort aus zu arbeiten - und keine reiche Erbin, die die horrenden Immobilienpreise aufbringen kann.
Die Arbeit, die mein Leben finanziert und mir auch meine Aufenthalte in der Bretagne ermöglicht, muss ich in Deutschland ausüben. Deshalb bin ich dort gemeldet und lebe sogar ganz gerne in dem Dorf, das ich mir vor vielen Jahren ausgesucht habe - doch meine Sehnsucht liegt in der Bretagne.
Mancheiner würde sagen: Da muss wohl ein früheres Leben stattgefunden haben. Als Agnostikerin meine ich: Vielleicht - wer weiß?