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Grève rose vor März 2008 |
2008
An dem kleinen Strand zwischen der Grève Blanche und dem Plage de
Toull Bihan in Trégastel knallen die Weststürme ungebremst auf das Festland,
wenn sie bei ihrem Weg über den Atlantik in Europa angekommen sind. Nichts verlangsamt ihre Kraft, auch die
kleinen Felseninseln Île de Seigle und Île Tanguy rechts und links nur ein paar
Meter vor der Küste bilden eher einen Trichter, als dass sie das Land schützen.
Der Wind hat über die Jahrmillionen einen Wall aus Sand auf
dem Granit, der den Sockel der Bretagne bildet, aufgetürmt. Wie die Natur
diesen Sandwall erschaffen hatte, hätte sie ihn irgendwann auch wieder
zerstört, wenn nicht wie so oft der Mensch den Platz verändert hätte.
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Traumhafte Lage direkt am Strand - vor März 2008 |
Eine kleine Mauer am Rand des Sandstrandes sorgte seit Jahrzehnten
dafür, dass die Wellen sich an ihr brechen und nicht weiter ins Landesinnere
vordringen konnten. Nur wenige Meter weg vom Absturz des Festlandes auf den
Strand, oben auf dem festen Grund des Granits, waren – wie könnte es anders
sein – sieben Häuser hingestellt worden, mit Blick auf das Meer. Die Sicht dort
ist phänomenal. Jeder Feriengast, der diesen Teil der zerklüfteten Bucht
besucht, wünscht sich, in einem dieser Häuser wohnen zu können, als
Ferienhäuser sind sie während der Saison ausgebucht, die Besitzer können jeden
Preis verlangen.
Doch ganzjährig will heute, 40 Jahre nach dem Bau, niemand
mehr dort wohnen, an Touristen werden die Häuser hauptsächlich im Sommer vermietet.
Wer als Tourist einen Herbststurm miterlebt, schätzt dies als Abenteuer. Im
Winter lassen die Stürme die Wände erbeben, und das Pfeifen in den Fenstern macht
den Genuss jeglichen Fernsehfilmes unmöglich. Weihnachten dort oben ist sicher
romantisch, wenn man weiß, man reist wieder ab. Die Eigentümer, die
noch das ganze Jahr im größten und schönsten der Häuser gewohnt hatten,
verließen ihr Haus vor etwa 8 Jahren, um weiter im Landesinnern geschützt vor
dem Wind und dem Lärm des Meeres zu leben. Und näher an den Cafés, wie eine der
letzten Bewohnerinnen des Viertels aus einem Haus unterhalb des Felsens
erklärte.
Sturmtief Johanna
Am 10. März 2008 gab es einen heftigen Sturm.
Das ist an sich nichts Ungewöhnliches für diese Jahreszeit, auch nicht in
Verbindung mit der höchsten Springflut des Jahres. Jedes Jahr im Frühling und
Herbst finden diese hohen Springfluten statt. Und oft gibt es gleichzeitig
einen heftigen Sturm, der in anderen Teilen des Landes, im Binnenland, eine
Katastrophe wäre. Aber am Atlantik und am Kanal ist das normal, die Häuser und Dächer sind
entsprechend gesichert, Bäume wachsen nur an Stellen, die vom Wind geschützt
sind.
Diese Sturmflut im März jedoch war selbst für die sturmerprobte Küste
ungewöhnlich heftig. Der Sturm war eindeutig ein Jahrhundertsturm, die
dazugehörige Flut entsprechend gewaltig. Die Wellen und der Wind zerstörten
viele Küstenwanderwege, unterspülten Felsen und veränderten an einem Tag die
Küstenlinie. Auch das Forum von Trégastel wurde schwer beschädigt. Dort wurde
das Restaurant in Einzelteile zerlegt, und Meerwasser drang in das Schwimmbad ein.
Noch im Herbst 2008 waren beide geschlossen. Im Jahr 2009 schließlich hatten
wohl die Versicherungen bezahlt, und Schwimmbad und Restaurant konnten nach
sorgfältiger Renovierung wieder geöffnet werden.
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September 2008 - sechs Monate nach dem Sturm |
Das Unwetter vom März zerstörte die kleine Mauer am diesem Strand
im Westen.
Während des Sommers hatte man nichts unternommen, um den
Strandbetrieb nicht mit Baumaßnahmen zu beeinträchtigen. Im Herbst des Jahres
2008, vor der ersten Herbstspringflut und dem damit eventuell damit verbundenen
Sturm füllte man Sandsäcke entlang der Linie auf, die einst die Mauer gebildet
hatte. Sie hielten genau bis zu dieser ersten Springflut, die tatsächlich in
Verbindung mit einem Sturm auf das Land donnerte. Danach war der Strand mit
weißen zerrissenen Plastiksäcken geschmückt, der Sand war wieder da verteilt,
von wo er weggeschaufelt worden war.
2009
In diesem Jahr schließlich durften Naturschützer das Unglück des
kleinen Strandes nutzen, um die Böschung ökologisch zu schützen, nach dem
Prinzip, wie es sich auch an anderen Stellen der Küste bewährt hatte, in Dünen
der Sandstrände oder auf den Felsenoberflächen des Pointe de Raz oder auch des Sentier
Douarniers in Ploumanac’h, auf der Île aux Moines draußen, wo die Ausflugsboote
jährlich Hundertausende von unbekümmerten Urlaubern für jeweils eine
dreiviertel Stunde auf die Insel entlassen. Dort können sie nun nicht mehr frei
über deren Oberfläche trampeln, sondern werden durch auf Knöchelhöhe angebrachte
Drähte auf schmale Wege gezwungen, um den Pflanzen eine Chance zu geben, den
Boden zu befestigen. Die Erd- und Sandflächen auf den Felsen waren mit Rupfen
und Bambus bezogen worden, damit sich dort Pflanzen ansiedeln konnten, bevor
das Erdreich abgetragen war. Die Gefahr, dass der Boden ins Meer geweht wurde,
wurde so verringert.
Diese Maßnahmen sind mühsam, denn nicht alle unbekümmerten
Urlauber sehen ein, dass sie die niederen Zäunchen am Rand, die eher zu
überreden als zu behindern scheinen, nicht übersteigen sollen. Erst wenn die
Pflanzen wirklich Fuß gefasst haben und eine gewisse Höhe erreichen, bleiben
die Menschen auf den Wegen, den die Pflanzen rächen sich bitterlich an den
kurzbehosten Eindringlingen, indem sie ihnen die Beine zerkratzen. Doch auch
dann gibt es noch Unerschrockene, die absolut nicht einsahen, dass sie nicht zu
diesem Felsen dort oder jenem Hügel für ein absolut neues Fotomotiv, das es
schon in tausendfacher Ausgabe gibt, gelangen sollten.
Bei diesen überlaufenen Ausflugszielen geht es jedoch um mehr
oder weniger waagrechte Oberflächen und Gelände, die der Erosion preis gegeben
waren, weil Millionen Touristenfüße den Pflanzen keine Chance gaben, den Boden durch
ihr Wurzelgeflecht zu schützen.
Doch hier in Trégastel handelt es sich um eine fast
senkrechte sandige Böschung, auf der Farn und Gras wuchsen, wie überall an der
Küste, wenn die Erosion die Erdkrume nicht ganz weggetragen hatte. Ein schmaler
Weg führte ein Stück oben vor den Gartenmauern der Häuser entlang, doch der Rest
war unbegehbar, weil viel zu steil. Die kleine Mauer hatte aber jahrelang dem
Ansturm des Meeres getrotzt und die Böschung gesichert.
Jetzt war sie zu großen Teilen weg. Die Sandsäcke hatten so
gut wie nichts genützt – das Meer war über den Winter hinweg bis an die
Böschung herangekommen, hatte angefangen, sie zu unterspülen.
Und nun hatte man also die Idee gehabt, über den sturmlosen
Sommer hinweg den Steilhang mit Rupfenflächen und Bambusgeflecht zu schützen,
damit die Pflanzen Zeit hatten, sich anzusiedeln und die Abdrift zu verhindern.
Die EU zeigte sich wie immer sehr kompetent und gab Finanzspritzen.
Die Touristin, die nicht mit dem Meer aufgewachsen war, stand Mitte
September vor diesem Steilhang und ließ einen Schrei los, der schon alleine Lawinen
auslösen konnte. Als Laie sah sie sofort, das konnte nicht gut gehen. Es sah
schön ordentlich aus, optisch ansprechend, sauber, fein gemacht. Man hatte das
Gefühl, hier wurde der Natur mit sanften Methoden geholfen. Nur ist die Natur
nicht sanft.
Der erste Herbststurm
Mitte Oktober 2009 kam der erste heftige Herbststurm während
der Springflut. Vier Tage lang konnte kein Mensch an den Strand, es wehte zu
heftig.
Am fünften Tag dann wagte sich die Touristin zum ersten Mal
wieder zum Meer. Am Rand der Böschung neben einer Gartenmauer stand ein
Anzugträger, eindeutig ein Mann aus der Stadtverwaltung, womöglich sogar der
Bürgermeister selbst. Schon seinem Rücken konnte die Frau seine
Fassungslosigkeit ansehen. Er stand bewegungslos und starrte hinunter auf den
Strand und über die Böschung vor ihm.

Sie stellte sich neben ihn, um die Bescherung auch betrachten zu
können. Und stellte fest, die Böschung sah genauso aus wie sie es erwartet
hatte. Sie meinte mit ihrem unvergleichlichen Französisch zu dem Mann: Kaputt. Denn
an der Böschung gab es keine Stelle mehr, wo Rupfen oder Bambus noch wie vor
dem Sturm lagen. Bambusstangen lagen kreuz und quer über den Strand verteilt,
der Rupfen war zerrissen und größten Teils vom Sand bedeckt. Da es noch immer
wehte, lag ein feiner tanzender Schleier über der Fläche. Die darunter
herausragenden Zipfel des Rupfens wackelten freudig im Wind. Die
Bambusbalustrade, die entlang der Böschung am Ende des Strandes gebaut worden
war, ähnelte einem Mikadospiel.
Der Herr wandte sich zu ihr um und fing an zu sprechen. Sie
bedeutete, dass sie kein Wort verstehe, er begriff und sprach Englisch. Er war
fassungslos. Seine Stimme kippte fast vor Wut. Er erklärte ihr, dass alles
Idioten seien – Naturschützer, die EU, die ganze Bürokratie – einfach alle da
in Paris oder Brüssel. Sie hatte das schon selbst erraten, nur die Sache mit
den EU-Geldern war ihr zu diesem Zeitpunkt neu.
Und sie war gespannt, wie es weitergehen würde, denn
das war nur der erste Sturm des Herbstes
gewesen. Schlimmere würden in den nächsten Monaten kommen.
Wieder wurden Sandsäcke aufgefüllt und vor der Böschung
platziert, dieses Mal musste es schnell gehen, denn der nächste Sturm würde
nicht lange auf sich warten lassen. Bis zur Ruhe des Sommers waren es noch
einige Monate.
Was würde nun bis zum nächsten Herbst geschehen? Für sie war klar:
Auf Dauer konnten nur Wellenbrecher die Häuser auf dem Felsen schützen –
Wellenbrecher aus Beton oder mindestens großen Steinen.
Fortsetzung im 2. Teil der "Geschichte eines Strandes".
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