Dienstag, 8. Oktober 2013

Par tous les temps



Bei jedem Wetter

Himmel über Île Grande City
Ja, die Bretagne hat ein Wetter. Manche behaupten, es sei immer schlecht. Es würde immer regnen. Sozusagen das, was man für das große Britannien jenseits des Kanals behauptet, gelte auch hier. Nur – das stimmt nicht, auf beiden Seiten des Kanals.
Bis jetzt ist das Wetter so schön, mit wenigen Regenschauern, die nie lange dauern, dass ich kaum Zeit habe, hier im Haus zu schreiben und den Blog weiterzuführen. Denn es macht wenig Sinn, wenn es draußen so schön ist, die Zeit im Haus abzusitzen.

Als ich vor 26 Jahren zum ersten Mal in der Bretagne war, neugierig und naiv, nur das wissend, was ich mir aus irgendwelchen Büchern vorher angeeignet hatte, und von meinen Erfahrungen auf den britischen Inseln, fuhren wir im Juni los und blieben bis nach dem Nationalfeiertag am 14. Juli. Damals war das Wetter zu Hause ziemlich kühl und nass.
Wir begannen die Bretagne dort zu entdecken, wo eigentlich jeder Neuling anfangen sollte: Am Mont Saint Michel.
Ich werde in diesem Blog nicht weiter auf ihn eingehen, da er nicht in der Bretagne steht. Nur so viel: er ist es wert, besucht zu werden. Man sollte nur schauen, dass man nicht in den Hauptzeiten ankommt. Und auch in den Nebenzeiten tut man gut daran, früh morgens den Besuch zu starten. Wie man heute, wo der Damm mit den Parkplätzen aufgelöst ist, hinkommt, habe ich noch nicht ausgetestet. Aber wie gesagt – er liegt in der Normandie. Bis der Fluss Couesnon sich entscheidet, wieder – wie einst – östlich vom Mont zu münden, wird das auch so bleiben.
Als wir damals „am Mont“, wie er allgemein liebevoll tituliert wird, ankamen, nächtigten wir auf einem Camping muncipal, einem städtischen Campingplatz – und wurden ziemlich nass. Es war kalt und ekelhaft.
Wir fuhren über die Grenze – den Fluß – in die Bretagne, schauten uns Saint Malo an, besuchten die Steinarbeiten von Rothéneuf, aßen die ersten Austern unseres Lebens in Cancale, fuhren weiter am Fort de la Latte vorbei und über das Cap Fréhel. Wir froren und wunderten uns nicht, denn so war uns die Bretagne beschrieben worden. Wir stellten uns darauf ein, die nächsten Wochen unserer Reise feucht, kühl und relativ ungemütlich zu verbringen. Doch wir waren in der Bretagne, und die faszinierende Küste würde uns entschädigen.
Wir landeten schließlich an der Côte Granite Rose, in Landrellec, auf einem wunderschönen, direkt an der Bucht gelegenen Campingplatz.
Und dann wurde es schönes Wetter.
Während der restlichen Zeit, die wir den Drachen umrundeten, schien die Sonne, es war warm, fast zu warm. Ich erinnere mich, dass es auf der Halbinsel Saint Marguerite zwischen dem Aber Wrac’h und dem Aber Benoit morgens nebelig war, als ich aus dem Auto kroch. Ich ging dort auf einen der Felshaufen vor der Küste und fühlte mich wie in den Nebeln von Avalon. Es war angenehm, kühl und wie Seide auf der Haut.
Und dann brach die Sonne durch den Nebel, der graue Schleier löste sich auf und ein wunderschöner Tag begann. 
Regen zieht über die Bucht heran
Genau so ist die Bretagne. Es kann regnen, es kann stürmen, Nebel kann über das Meer ziehen. Doch genau so schnell kann die Sonne wieder hervorkommen und alles trocknen.
Ich war noch nie im Hochsommer hier, für mich ein Glück. Und ich kenne Leute, die ihren Urlaub abgebrochen haben und nach Süden flohen, weil es angeblich nur regnete. Doch ich kann sagen: all die Jahre, die ich in die Bretagne reiste, hatte ich noch nie dauerhaftes schlechtes Wetter.
Ich hatte Herbste hier, da stieg im Oktober das Thermometer noch bis 30°C, tagsüber. Nachts wurde es dann angenehm kühl. Im Jahr 2011 schwamm ich in der Bucht gegenüber – Ende Oktober. Und ich habe keine Lust, ins Meer zu gehen, wenn es kühl ist. Das tat ich als junges Mädchen, heute nicht mehr.
Auch im Frühjahr, im Mai und Juni, hatte ich nie dauerhaft schlechtes Wetter. Wenn es regnete, dann einen halben Tag. Ein ganzer Regentag ist eine Seltenheit.  
mer agitée - tosendes Meer, wenn die Sonne scheint

Nur 2012 allerdings hatte ich tatsächlich bei meiner Abreise im November die höchste Stromabrechnung in meinem Haus, die ich all die Jahre gehabt hatte. Wie fast überall werden die Ferienhäuser mit Strom beheizt. Im Land der Atomkraftwerke vermutlich eine logische Entscheidung, auch wenn man heute vermutlich anders bauen würde. Normalerweise sind es einfache Radiatoren, die an die Wand geschraubt sind und bei Bedarf eingeschaltet werden. In meinem Haus waren gerade neue Radiatoren angebracht worden, deren Stromverbrauch der Zeit entsprechend einiges weniger als beim alten war. Es war trotzdem genug.
Denn in 2012 war es nur kalt. Schon bei meinem Urlaub im Frühjahr in Finistere war es kalt gewesen. Die Saison im Juli und August war kalt, erzählte man mir. Selbst wenn die Sonne schien, war es kalt. Als ich im September ankam, musste ich mindestens morgens und abends heizen, später teilweise den ganzen Tag. Im November, als ich abreiste, war es eisig. In Deutschland hatte es jedoch schon im Oktober geschneit. Der Winter war dort bereits ganz angekommen. Dagegen war es hier dann doch noch warm. Dennoch – in all den Jahren hatte ich kein so dauerhaft unangenehmes Wetter gehabt. Ich konnte viele Dinge gar nicht unternehmen, weil es einfach zu kalt war. Sobald ein Ausflug mit Wasser zu tun hatte, hatte ich keine Lust. Deshalb besuchte ich in diesem Jahr nicht eine meiner Lieblinge, die Inseln vor der Küste.
Aber dieses Jahr kann ich das ja nachholen. 
Das Wetter in der Bretagne wird vom Golfstrom massiv beeinflusst. Ohne ihn wäre es eisig hier. Es gibt jedoch Aussagen, die behaupten, der Golfstrom würde seinen Lauf ändern – oder ganz verschwinden. Dann hätte Europa insgesamt ein Problem, soviel habe ich begriffen. Als es in 2012 so kalt war, befürchtete ich, es habe begonnen.
Doch dieses Jahr muss es sich der Golfstrom anders überlegt haben und zurückgekehrt sein. Seit ich angekommen bin, ist es fast nur schönes Wetter, mit ein paar Regenschauern dazwischen. In der zweiten und dritten Woche war es fast schon zu warm, schwül, fast unangenehm. Und es gab Gewitter. Ende der dritten Woche, also in der ersten Oktoberwoche, wechselte das zu heiße Wetter in herbstliches. Seither ist es morgens kühl, wird über den Tag warm und sonnig, um abends wieder abzukühlen, so wie es sich gehört.
Wie sehr der Herbst angekommen ist, sehe ich heute, als ich die Île Grande wieder einmal umrunde. Ich breche erst mittags auf, da morgens noch Hochnebel über dem Meer liegt. Mittags jedoch scheint die Sonne. Und das Licht auf der Insel ist faszinierend. Das Meer mit seinen Inselchen präsentiert sich mit scharfen, klaren Konturen in fast unnatürlichen Farben.
Als ich am westlichen Ende der Insel, am Hafen mit den Fischerbooten, ankomme und über die Bucht von Lannion sehen kann, hinüber nach Locquirec, sehe ich hinter dem Leuchtturm eine Nebelwand herankommen. Der Himmel ist hellblau, die Aquarellfarben des Grases, der Steine, sind klar – doch aus dem Meer kriecht die graue Wand wie eine Bedrohung.
Irgendwie erinnere ich mich, da gab es doch diesen Film: Fog… Aber das geschah ja in San Francisco und nicht hier an der Côte Armor.
Die Nebelwand zieht heran
Ich gehe weiter, am ornithologischen Zentrum vorbei zur Nordküste. Und dort kriecht die Wand über das Meer, riesig, weiß und grau, dumpf wie eine Decke. Die Sonne scheint noch immer, noch hat der Nebel das Ufer nicht erreicht.


Draußen, neben le Corbeau, dem Felsen, der wie eine Burg aussieht, schwimmen weiße Punkte. „Puces“ nennt mein Schwager sie. Flöhe. Eine Segelschule. Ganze Schulklassen gehen hier zusammen segeln, in kleinen Nussschalen. Segeln ist für diese Kinder so selbstverständlich wie für andere Volleyball.

Flöhe im Nebel - mit Kakerlake

Zwischen den Flöhen schwimmt eine dicke orange Kakerlake – der Lehrer im Gummiboot. Fasziniert schaue ich hinaus. Wird er seine Flöhe einsammeln und vor dem Nebel retten? Der Nebel ist inzwischen näher gekommen, hat fast den Felsen erreicht. Und dann streicht er über die kleinen Boote. Das gerade noch scharfe, konturenreiche Bild, die hell von der Sonne beleuchteten Boote versinken in Watte. Weich streifen die Nebelschwaden über die weißen Punkte. Doch ich verliere sie nicht aus den Augen, sie verschwinden nicht in der weißen Wand.
Schließlich atmet die Luft auf und wird wieder hell, die Sonne bescheint die Boote erneut, der Nebel ist darüber hinweg. Ist er vom Land aufgehalten worden? Denn bei mir auf dem Küstenweg sind keine feuchtkalten Schwaden angekommen. Hat die Wärme des Bodens sie aufgelöst, bevor sie landen konnten? Vermutlich könnte ein Meteorologe es erklären. Ich staune einfach nur. 
Vermutlich bedeutet der Nebel den Wetterbruch. Ich nehme an, das sommerlich warme Wetter ist nun vorbei, der Herbst ist angekommen. Doch auch wenn es nun vielleicht einige bewölkte Tage mit einzelnen Regenschauern geben wird, vielleicht sogar einen Sturm, wird es die Sonne dennoch zurückkommen. Statt in ärmellosen Shirts und kurzen Hosen meine Ausflüge zu machen werde ich mich nun wärmer kleiden müssen. Doch die Luft wird klarer sein, die Konturen schärfer und die Farben brillanter.
Heizen muss ich noch nicht. Dazu muss es noch einiges mehr abkühlen.
Zarter Nebel über den Felsen

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