Pêcheur d’Islande
Über ein EBook, das ich heruntergeladen habe, weil der
Begriff „bretonisch“ im Titel stand, werde ich zum wiederholten Male auf Pierre
Loti und sein Buch „Islandfischer“ aufmerksam gemacht. Das Buch zu lesen ist die
Energie nicht wert ist, die es braucht, es auf den Reader zu bekommen, doch die Islandfischer fangen an, mich zu interessieren. Das ganze Gebiet um Paimpol ist
voller Hinweise auf diesen Schriftsteller. Also lade ich die Islandfischer auch
noch gleich auf mein Gerät, als altes Buch kostenlos – und recherchiere erst
einmal.
Der Islandfischer wird auch in Saint Malo und vermutlich
noch anderen Fischerhäfen an der Nordküste gedacht, doch Pierre Loti ließ
seinen Roman hier spielen.
Ich lerne, dass Yann, der Fischer, aus Ploubazlanec stammt,
dem Örtchen auf der Nordseite der Bucht vor Paimpol, und dort einige Plätze an
das Buch und Pierre Loti erinnern. Eins muss man den Franzosen im Allgemeinen
und den Bretonen im Besonderen lassen: Ihre Kultur wissen sie touristenwirksam
einzusetzen. Überall. Daran können sich die Deutschen ein Beispiel nehmen.
Aber wer würde in Deutschland auch einen Schriftsteller wie
Pierre Loti kennen? Ach so ja, Theodor Storm kennt man – zumindest wenn man aus
Husum ist. Dort ist „Der Schimmelreiter“ Schullektüre. Ich aus Süddeutschland
habe es bis heute noch nicht gelesen. Dafür aber Hauffs Märchen, wenn schon
nicht „Lichtenstein“ – es reicht, wenn ich das Schloss kenne.
Vermutlich geht es den bretonischen Schülern ähnlich. Sie
wachsen mit den Islandfischern auf. Und mit François-René de Chateaubriand, der
aus Saint Malo stammte und dort auf der Insel Grand Bé auch beerdigt ist. Doch
dessen Werke sind über Frankreich hinaus bekannter, da er ein Vertreter einer
ganzen Epoche war. Ganz zu schweigen von dem mit Käse gefüllten Schnitzel, das wohl sein Lieblingsgericht gewesen war.
Pierre Loti
In Deutschland kennt man Pierre Loti weniger, denn er
schrieb keine Metropolenliteratur aus Paris, sondern von exotischen Gestaden,
Japan, der Südsee, Istanbul und Jerusalem. Die „Islandfischer“ fielen aus
seinen anderen Arbeiten ein wenig heraus.
Pierre Loti war kein Bretone. Er hieß eigentlich Louis Marie
Julien Viaud und stammte aus Rochefort, südlich von La Rochelle an der
Charente-Mündung. Er war ein französischer Marineoffizier und Schriftsteller
und hielt sich auf Grund seiner Reisen für einen Globetrotter und Abenteurer.
Croix des Veuves
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Croix des veuves - sind da Segel am Horizont? |
Doch für die Bretonen und insbesondere für die Paimpolaises ist Lotis Buch so etwas wie das Buch ihrer Kultur, der Kultur der Fischer und ihrer Familien, ihres harten Lebens, das oft vor Island endete, während die Frauen am Croix des Veuves, dem Witwenkreuz, Ausschau nach den Schiffen hielten, die aber nie zurück kommen würden.
Die Geschichte von Yann und Gaud ist eine Liebesgeschichte. Und wenn man am
Witwenkreuz steht und den Kanal hinauf schaut, von wo die Schiffe aus Island
kommen würden… Woher eigentlich? Von Westen oder von Osten? Kommen sie die
Irische See herunter? Oder fahren sie im Westen von Irland, an der Westküste
der Insel herunter? Jedenfalls nicht aus Richtung Nordsee – ich schaue in die
falsche Richtung. Doch sie kommen auf jeden Fall an der Île Bréhat vorbei, die
dort drüben in der Sonne liegt.
Ich schaue über das Meer und stelle mir vor, wie am
Horizont, neben der Île Bréhat, die ersten Segel auftauchen. Und wie aufgeregt
die Frauen und Kinder sind, wie sie hinunterrennen, um die Männer zu begrüßen,
wenn die Schiffe anlegen. Wie sie die Schiffe abzählen – sind es alle? Fehlt
einer? Und welches Schiff fehlt? Ist es das mit meinem Mann? Oder das, auf dem
der Vater fährt?
Wie sie glücklich sind, den Mann, den sie lieben, zu
erkennen, wie er darauf wartet, von Bord gehen zu können. Und wie sie sich
endlich in die Arme fallen.
Und ich sehe die Frauen, die vergeblich warten. Das Schiff
mit dem Vater ihrer Kinder, dem Ernährer der Familie, ist nicht dabei. Es ist
in der rauen See vor Island verloren gegangen. Ich sehe ihre gerade, dunkle Silhouette
vor dem grauen Meer stehen, versteinert, noch immer in die Ferne schauend, mit
einem Rest Hoffnung, dass es doch noch kommt, das Schiff mit dem, der ihr das
Leben sichert. Er wird niemals mehr kommen. Es gibt kein Grab, kein
Gedenkstein, nichts, was an ihn erinnert, nur die kleinen Menschen, die sich
vertrauensvoll an ihren Rock klammern und die nun ihren Vater nie wiedersehen.
Und sie weiß nicht, wie sie die Kinder über den Winter ernähren soll.
Für all diese in der Ferne verschollenen gibt es am Friedhof
von Ploubazlanec eine „Mur des Disparus“, eine Mauer der Verschollenen. Die
alten Erinnerungsschilder aus Holz sind inzwischen verwittert und wurden durch
emotionslose, gleichförmige Tafeln ersetzt. Einige der alten Holztafeln, die
noch nicht ganz verwittert sind, wurden zu ihrem Schutz in die Kapelle von Perros-Hamon
gebracht.
Unterhalb des Kreuzes, an der Steilküste, steht zuerst
wieder ein schlafendes Haus, ein Ferienhaus. Die Zufahrt führt über einen
Wiesenweg. Warum darf das Haus hier stehen? Und warum wohnt niemand darin? Wie
eine alte Burg hängt es im Felsen.
Der Weg führt am Grundstück entlang über viele Stufen
hinunter. Ich fluche, weil ich weiß, ich muss sie auch wieder hinauf. Gut für
die Kondition. Nach dem Mittagessen in Paimpol durchaus angebracht.
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Paimpol |
Paimpol
Ich bin mit dem Navi nach Paimpol gefahren. Es ist zwar
nicht unbedingt notwendig, denn man findet den Hafen problemlos, doch es ist
immer interessant, was das Navi meint besser zu wissen. Ich hatte „Rue de la
Port“ eingegeben. Als ich ankomme, denkt das Navi nicht, dass ich am Ziel sei. Denn
die Straße am Hafen ist keineswegs die Rue de la Port. Das ist ein kleines
Sträßchen, das vom Hafen weg in die alte Stadt führt, gleich neben dem
Restaurant „L‘Islandaises“, wie ich feststelle, als ich mich entscheide, dort
zu essen. Geparkt habe ich stattdessen auf dem „Quai Pierre Loti“. Ok – schon
geht es los. Dieser Mann ist allgegenwärtig.
Das Restaurant „L’Islandaise“, das zusammen mit seinen
Nachbarn eines der Postkartenmotive der Stadt darstellt, ehrt die
Islandfischer. Überall hängen Fotos und stehen Erinnerungsstücke herum.
Die Islandfischer
Mehr als 2600 Schiffe, jährlich über 80, fuhren zwischen 1852 und 1936 von hier
aus nach Island, um den Kabeljau – oder Dorsch – zu fangen. Der Roman spielt in
1886. Der Höhepunkt war 1896, als die Stadt 82 Goëlettes (typische Segelschiffe
für den Kabeljaufang) unterhielt. Alljährlich am zweiten Sonntag im Februar
fand die große Prozession der Islandfahrer statt, danach stachen sie in See.
Im September sie zurück – sofern sie zurückkamen.
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Die Bucht heute - mit der Île Bréhat |
Schlechtes Wetter sowie der Leichtsinn einiger Kapitäne
brachten die Schiffe in Gefahr. Ein Schiff, das in Seenot geriet, war verloren,
Hilfe war nicht möglich. Überlebende gab es kaum. So gab es im Lauf der Jahre
über 2000 Opfer unter den Seeleuten. Mehr als 100 Schiffe kehrten nicht mehr
zurück.
Die Fischer nutzten damals keine Netze, sondern Leinen. Sie
mussten täglich bis zu 15 Stunden die Fische, die ein Gewicht von 15 bis 30 kg
hatten, an Bord hieven. Manchmal, wenn es genug Fische gab, auch rund um die
Uhr. Als Köder dienten zuerst Speck, dann Fischteile.
Die Zeit auf See war in zwei Fangkampagnen eingeteilt. Die
erste von Februar bis Mai. Nach wenigen Tagen Ruhe ging es weiter. Nur in diesen
Ruhetagen hatten die Männer Zeit, sich zu erholen, ihre Wäsche zu waschen, auch
ihre Post, die mit Booten von zu Hause kam, zu lesen. Diese Boote nahmen die
gefangenen Fische zurück nach Paimpol.
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Porz Even |
Zu Hause wurde auch die Mode von diesem Leben beeinflusst.
Die Frauen der Küste trugen immer Schwarz. Daraus entstand die vermutlich
weltweit einmalige Tradition schwarzer Hochzeitskleider.
Die Fischerei vor Island endete, weil die Reeder sich nicht
zusammenschließen und auf Dampfboote umstellen wollten.
Porz Even
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Die Becken für das Meeresgetier |
Heute laufen hier keine Schiffe mehr zum Kabeljaufang aus.
Heute sind es die Meeresfrüchte, die hier geerntet werden. Austern, Muscheln
werden auf dem Meeresboden gezüchtet. Ich sehe die alten Bassins und die
Gestelle, auf denen die Austern gelagert werden.
La Trinitè
An der Klippe unterhalb des Witwenkreuzes steht eine Kapelle.
Wo so viele Tragödien stattfanden, brauchten die Menschen dort, wo sie die
Rückkehr der Boote beobachten konnten, eine Platz der Ruhe und der Einkehr.
1868 wurde dieses Kirchlein erbaut, nicht gerade eine architektonische
Meisterleistung. Sie trägt denselben
Namen wie die Landspitze, auf der sie steht: Chapelle de la Trinité – die Dreifaltigkeitskapelle.
Sie ist die letzte einer Reihe von Kirchlein an dieser Stelle, die hier schon
seit dem 12. Jahrhundert stehen. Damals fanden regelmäßig Überfahrten auf die
Île Saint Riom, die gegenüber von Porz Even liegt, zu der dortigen
klösterlichen Gemeinschaft statt. Als ein solches Boot bei der Überfahrt in
einen Sturm kam und die Mönche sich in ihrer Angst vor dem nahenden Ende an die
heilige Dreifaltigkeit wandten, wurden sie an dieser Felsenspitze an Land
gespült. So wurde die erste Kapelle vom Beschützer der Mönche, Alain comte de
Goëlo et de Penthièvre, hier gebaut. Der Name Beg ar C'hastell (Schloßspitze in
altem Bretonisch) wird allerdings erst im frühen 18. Jahrhundert geändert.
Doch noch früher gab es den aus Cornwall geflohenen Saint
Pébrel, einen der vielen Eremiten, die die Bretagne prägten, der die erste
Kapelle hier baute, ebenfalls der Trinité geweiht. Offensichtlich ist dieser
Platz ein Anziehungspunkt für Gewitter, den einige der Kirchen sind vom Blitz
zerstört worden, was natürlich immer als Zeichen aus dem Jenseits gewertet
wurde. Und gleich neben dem Eingangsportal lese ich auf einem modernen Schild,
dass ich mich im Fall eines Gewitters nicht näher als drei Meter der Kirche
nähern solle. Mache ich nicht – es tobt kein Gewitter.
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