Montag, 21. Oktober 2013

Dimensionen eines Felsenweges



Im Reich der Trolle und Elfen

An der Küste von Plougrescant, zwischen dem Gouffre beim Castel meur, dem kleinen Haus zwischen den Felsen, und der Anse de Gouërmel mit Buguélés am anderen Ufer gibt es einen Abschnitt des GR 34, des Küstenpfades, der eigentlich ein Geheimnis bleiben sollte. Er ist so wunderschön, dass es schade wäre, wenn er überlaufen würde wie das kleine Haus oder le gouffre. Doch ich vermute, im Sommer ist auch dieser Abschnitt gut besucht, deshalb ist es egal, wenn ich von meinen Eindrücken im relativ menschenleeren Herbst berichte.
Porz Scarff - gegenüber Buguélés
In diesen Küstenweg kann man von zwei Seiten her hineingehen. Einmal vom Parkplatz am Castel meur und dann von Pors Scarff am anderen Ende, einem kleinen Fischerhafen, wie es viele in den seichten Buchten dieser Küste gibt.  
Porz Scarff  besteht aus wenigen Häusern. Dominierend ist ein Ferienheim für Familien, das aber im Herbst geschlossen ist. Außerdem gibt es einen „Vivier“, einen Fischer, bei dem es Meeresfrüchte, hauptsächlich Austern und Muscheln, zu kaufen gibt, die draußen in der Bucht gezüchtet werden. Außerdem stehen da noch ein paar Häuschen, wie immer geschlossene Ferienhäuser.
Bewacht den Zugang 
Vorgelagert auf der Südseite des Hafens liegt ein Anwesen, bei dem man wieder einmal hin und her gerissen ist, ob man vor Entsetzen den Kopf schütteln oder sich dem Neid ergeben soll. Auf der kleinen Landspitze steht in einem Park ein Haus zwischen den Felsen, nur wenige Meter vom Ufer entfernt. Von der Lage her ist das Haus traumhaft. Aber wer nimmt sich das Recht, an der Küste direkt an den Felsen zu bauen?
Nördlich des Hafens ragt ebenfalls eine kleine Felsenspitze ins Meer. Dort ist der Parkplatz und dort beginnt der Weg in die Felsen, bewacht wird dieser Eingang vom Kaiser persönlich.

Der Felsenweg

Der Eingang in die andere Welt
Zuerst geht man einige Meter über einen Kieselweg. Und dann tritt man in eine andere Welt ein. Es ist, als schreite man durch ein Tor in eine andere Dimension, eine Phantasiewelt. Peter Jackson ging nach Neuseeland, um die richtige Kulisse für „Herr der Ringe“ zu finden. Dabei hätte er sie hier finden können.
Dramatik
Massive Kraft der Natur
Es sind nur 500 m, dieses Stück Küste, das einen in diese andere Welt entführt. Der Pfad ist nicht ganz einfach zu gehen, manchmal sogar etwas schwierig, vor allem wenn er zwischen den hohen Felsen hindurch führt, die entlang des Weges stehen. Einmal geht es durch den schmalen Spalt zwischen den Ungetümen hindurch. Im Boden befinden sich glatte Steine, vielleicht irgendwann einmal zu groben Stufen gehauen oder über die Jahrhunderte zurechtgetreten. Gehbehindert sollte man auf diesem Weg nicht sein.
Doch was man sieht ist so fantastisch, dass man am besten stehen bleiben sollte, um nicht auch noch zu stolpern, so sehr schweift der Blick über diese unglaubliche Landschaft und das Meer.

Kathedralen der Natur
Die Felsen türmen sich an Land und im Meer wie geheimnisvolle Burgen aus Sagen. Dazwischen liegen Felder aus Farn oder trockenem Gras, eingesäumt von Hecken.
Zwei Felsennasen gehen hinaus vom Weg Richtung Meer. Dort kann man sich hinsetzen und sinnieren, sich sonnen oder auch ein Buch lesen. Zu einem großen Felsen am Meer ist ein Pfad durch den Farn geschlagen. Auch dort kann man sich nun nach leichtem Klettern ausruhen, ohne eine Machete benutzen zu müssen.  



Wenn im Herbst nachmittags die Sonne tief steht und das Meer von Südwesten silbern färbt, glaubt man im Bild der Felszacken, die immer kleiner werdend ins Meer hinausführen, Tolkins Gestalten herannahen zu sehen.
Es könnte auch die Barke mit Merlin oder den Druiden dort auf dem glitzernden Wasser zwischen den schwarzen Schatten zu gleiten. Ich sehe die hohe Gestalt der Morgane herannahen. Die Dimension scheint sich verändert zu haben. Ich fühle mich in der anderen Welt, nicht mehr zugehörig zur Realität.
Haus auf der Höhe
Alter Hof
Oben auf der Anhöhe steht, von Hortensien gesäumt,  ein altes Fischerhaus, das zu einem Ferienhaus renoviert wurde, in einem Garten aus Felsen und trockenem Gras. Ein alter Brunnen mit geschmiedetem Bügel, an dem das Seil für den Eimer befestigt wurde, befindet sich daneben. Hinter dem Haus, auf einer kleinen felsigen Anhöhe sehe ich ein steinernes Kreuz und einen Menhir. Sinn für Dramatik haben die Leute, denen dieses Anwesen gehört. Doch es ist wunderschön. Ich ergehe mich in Träumereien. Das Haus ist geschlossen. Es schläft, wie fast alle Häuser in diesem Gebiet. Menschliches Leben gibt es hier nur im Sommer. In den wenigen Häusern, die auch jetzt bewohnt sind, leben hauptsächlich Senioren.
In einer Senke liegt ein großes Anwesen aus mehreren Gebäuden, ein ehemaliger Bauernhof, vor dem Meer durch die Felsen geschützt, auch er zu Ferienhäusern umgebaut. Die Dächer sind mit Reet gedeckt. Wunderschön – aber tot, da es kein Leben auch dort gibt.
Es ist einfach beeindruckend
Bis vor einigen Jahren führten nur zwei Pfade von dem Küstenweg hinauf auf die Anhöhe und auf der anderen Seite hinunter zur
Alles ist Kunst - auch die Natur
Straße. Jetzt wurde der Farn zwischen den Felsen zu breiten Wegen gerodet. Im Sommer wird an den Felsen geklettert. Offensichtlich hat man den Sportlern den Zugang erleichtert. Mir ermöglichen diese Wege durch den Farn die Erkundung des Gebietes zwischen den Felsen. Ich weiß nur nicht, ob ich vorwärts oder rückwärts gehen soll, um den Blick auf die Schönheit dieser Küste nicht zu verpassen. Als hätten einige Riesen hier ihren Spielplatz gehabt, stehen die massiven Granitfelsen wie Kathedralen am Meer, geformt durch den Lauf der Zeit, durch Wind, Salz und Meer, überzogen von Flechten, an geschützten, dem Meer abgewandten Stellen auch einmal von Efeu.
Die Phantasie erkennt Gesichter, Drachen, Hunde. Ich sauge es in mich ein, versinke in dem, was ich sehe, will festhalten, bleiben, es immer um mich haben.
Ich knipse unaufhörlich, um diesen faszinierenden Blick mit nach Hause nehmen zu können. Und weiß doch, dass es mir nicht gelingt, das alles einzufangen, festzuhalten. Das Foto wird das Bild zeigen – und es wird Erinnerungen wecken. Aber es wird die Farben, die Luft und die Sonne nicht in Bewegung mitnehmen. Es wird das unglaubliche Glücksgefühl, hier inmitten dieser Schönheit zu sein, nicht vermitteln können. Und das ist ein Teil dessen, was die Faszination ausmacht. Die Dimension ist eine andere – und es ist nicht nur die Dreidimensionaliät.

Das kleine Haus

Kleines Fischerhaus
Wenn der Felsenweg wieder bequemer wird, ist der Poull Stripo, eine weitere flache Stelle im Meer, erreicht. Auch hier liegen Boote. Am niederen Kieseldamm parken die Autos der Fischer und manchmal Touristen. Am anderen Ende gibt es wieder einen Felsvorsprung, um den der Küstenweg außen am Meer herumführt. Und dann steht dort, mit der einen Seite an einen Felsen gelehnt, ein winziges Häuschen.
Hinten, gegen das Meer gewandt, gibt es nur eine schmale Luke. Viele der alten Fischerhäuser haben keine Fenster nach Westen und Norden. Da früher die Steuern für Häuser an der Anzahl der Fenster berechnet wurden, war man mit diesen ohnehin sparsam gewesen. Doch in einem Land, in dem der Sturm durch die Ritzen donnern kann, kann eine Hauswand ohne Fenster auch einfach Schutz sein.
Die schmale Luke, die vielleicht erst in neuerer Zeit eingefügt worden war, ist geschlossen, ein weißer Holzladen zeigt mir, auch dieses Haus schläft.
Auf der Vorderseite gibt es eine weiß getünchte Steinmauer mit dem Eingang. Das Haus hat blaue geschlossene Fensterläden, auch die Eingangstür ist blau. Auf der anderen Seite des Küstenpfades gegenüber stehen zwei kleine Gebäude, eines hat eine Tür mit Herz.
Vor einigen Jahren traf ich an dem Haus auf einen blauen Berlingo mit der Autonummer von Hohenzollern, was mich schwer irritierte, denn auch ich hatte damals einen blauen Berlingo  mit einer mit BL beginnenden Autonummer. Ich war sicher, ich hatte woanders geparkt. Hatte ich auch  - es war nicht mein Auto. Wenn man ohnehin mit dem Gehirn irgendwo in einer Phantasiewelt schwebt, kann das ganz schön seltsam sein.
Als ich das Auto später wieder sah, saß eine Frau in dem Gärtchen vor dem Haus.
Die Autonummer war Grund genug, sie anzusprechen. Ich rief freundlich über die Mauer: Mit Ihnen kann ich sprechen, das sehe ich an Ihrer Autonummer.
Ihr Mann, der keine Hunde mochte, war zu der Zeit mit einem Fischer auf See, weshalb sie mich einlud, mitsamt meinem Hund in den Garten zu kommen. Ich erzählte ihr, dass ich mich in das Häuschen schon seit Jahren verliebt hatte. Ich erfuhr, das Ehepaar hatte es von Bekannten gemietet. Und – so nett das Haus ist, auch geschmackvoll eingerichtet und inzwischen mit einer Heizung versehen, die nicht meilenweit wie ein Schiffsmotor stinkt, weil der Ruß aus der Ölheizung ungefiltert in die Luft geblasen wurde – es hat keine Toilette. Das Häuschen gegenüber, mit dem Herzen in der Tür, ist kein Relikt aus vergangenen Tagen, sondern tagesaktuell. So etwas gibt es in der Bretagne auch noch.

La Pointe du Château

Pointe du Château - Blick über die Mündung des Jaudy
Geht man den Küstenpfad weiter, sieht man nach kurzer Zeit das Haus zwischen den Felsen, Castel meur. Vom Parkplatz, der zum Gouffre und dem Castel meur gehört, führt der Küstenpfad wieder über einen felsigen Weg, vorbei an einer kleineren Landspitze zum Pointe du Château, der nördlichsten Spitze dieses Gebietes. Auch diese Strecke ist unglaublich schön. Der Blick von den Felsen über das Meer mit seinen vielen Steinhaufen, nach Osten zum Sillon de Talbert und weiter bis zur Île Bréhat ist unglaublich. Auf der anderen Seite des Pointe du Château befindet sich das Ästuar, die Trichtermündung, des Flusses Jaudy, der von Tréguier her kommt. Dort gibt es wieder unzählige Felseninseln und eine große Insel in Privatbesitz, mit Häusern, Bäumen und Feldern, die Île Loaven.
Schließlich gelangt man an das Sträßchen, den Circuit touristique d‘Ajoncs, die Touristenstraße des Ginsters, die von Tréguier an ausgeschildert entlang der Küste bis Port Blanc führt und die mit dem Auto zwar kein Ersatz zu den Fußwegen, aber als Autorundfahrt eine der schönsten Strecken der Gegend ist. Bei dem Weiler Porz Hir ist ein Parkplatz neu angelegt. Porz Hir ist wieder ein kleiner Hafen mit einer Gruppe alter Fischerhäuschen, die natürlich zu Ferienhäusern umgebaut sind und gemietet werden können.

Circuit d’Ajonc

Heute habe ich aber am anderen Ende dieser Landspitze geparkt und fahre von dort aus den Circuit d’Ajonc an der Anse de Gouërmel entlang.
Île Yvinec
Auf der Île Yvinec sehe ich Autos. Man kann problemlos bei Ebbe über die Bucht zur Insel fahren, auch mit einem normalen PKW. Diese Insel scheint tatsächlich ganzjährig bewohnt zu sein. Als ich vor einigen Jahren dort über die Bucht wanderte, kam uns ein munterer Hund entgegen gerannt, der es nicht komisch fand, dass wir dort gingen. Doch er fand dann meinen Hund sympathisch, und so durften wir weitergehen. Betreten konnte ich die Insel natürlich nicht, doch die Nachbarinsel Île des Pins schon, sie scheint wild zu sein. Allerdings auch sehr unwegsam, deshalb ließ ich es dann doch, über den Kieselstrand hochzuklettern.

Île Istan
Ein Stück weiter gibt es noch ein nettes Kleinod – die kleine Île Istan. Es ist ein Felsenhaufen, der mit einigen Häuschen, die von einer Mauer umfriedet sind, bebaut ist. Wie eine kleine Burg liegt dieses Anwesen in der Bucht, mit dem Festland über wenige Meter durch einen Damm aus Kieselsteinen verbunden, der nur bei hohem Hochwasser überspült wird.
Die kleine Burg im Meer
Das Sträßchen führt mich durch einige Weiler mit den typischen bretonischen Häusern ans Ende der Bucht. Es gibt noch ein paar Abzweigungen zu kleinen Parkplätzen direkt am Meer, von denen man den Blick hinüber nach Buguélés und seinen Inseln genießen kann. Doch nichts ersetzt diese Strecke der Felsen zwischen dem Castel meur und Porz Scarff.
Île de pins, Île Yvinec, Île Istan

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