Sonntag, 27. Oktober 2013

Schlafende Häuser


Weiße Küsten

Die Küste der Bretagne ist verbaut. Es gibt kaum einen Küstenabschnitt, an dem auf längere Strecke kein Haus steht. Fährt man mit dem Boot hinaus und schaut zurück, so gibt es Küstenabschnitte, die weiß von den Gebäuden sind, grünes ist fast nicht mehr vorhanden. Nur hohe Klippen haben der Bauwut Einhalt geboten – doch oben, direkt am Rand der Felsen, mit dem schönsten Blick über das Meer, findet man dann doch das ein oder andere Haus, die Villa, das Schlösschen.

 Ferienziel der Reichen

Die Fenster sind offen - Herbstferien
Schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts haben nicht mehr nur Fischer und Bauern ihre kleinen Häusche
n bewohnt, auch reiche Leute aus Paris und anderen Städten bauten sich ihre Domizile ans Meer. Spektakuläre Beispiele sind das Chateau Costaere vor Trégastel, in dem heute Dieter Hallervorden residiert, oder das im Abschnitt über die Inseln genannte Haus auf der Île Illiec, das dem Flieger Lindbergh gehört hatte, das aber vor der Jahrhundertwende von einem reichen Menschen gebaut worden war.
Auf der Halbinsel Crozon, ganz am Ende, steht die Ruine des Manoir de Coecilian, das dem französischer Symbolist und Dichter Saint-Pol-Roux gehört hatte. Es war 1944 von den Deutschen bombardiert worden, seither ragen nur noch seine vier Ecktürme in den Himmel.
Solche Häuser gibt es einige. Auch hier an de Côte Granite Rose stehen einige alte Häuser, die eindeutig kurz vor oder nach 1900 entstanden sind. Doch damals standen sie einsam auf ihren Felsen. Heute sind sie umringt von Neubauten, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. 

Fischer- und Bauernhäuser

Natürlich hat es immer Städte und Dörfer gegeben, die bis an die natürlichen Häfen der Küste heranreichten, die dann zu befestigten Häfen ausgebaut wurden. Auch haben Fischer immer an günstigen Stellen der Küste gebaut. Oft gibt es Ruinen von Gebäuden an Stellen, wo man sie gar nicht erwartet. Zum Beispiel hat bis 1968 auf der Île Lapin unter dem Felsen, der wie in Hasenohr geformt ist, in einer troglodytischen Behausung der Fischer Zantig gelebt. Die Mauer, die er zu seinem Schutz gebaut hat, ist noch zu sehen.
Traumlage - meist geschlossen
Auch einzelne kleine Bauern- und Fischerhäuser gibt es immer wieder. Doch letztendlich sind diese alten Gebäude so verstreut und in großen Abständen, dass die Natur dazwischen ein Chance hatte. Auch haben sich Fischer und Bauern bemüht, ihre Häuser so zu bauen, dass sie weder bei einem Sturm noch durch hohe Fluten beschädigt würden und das Leben in den Häusern selbst  bei den wildesten Wettern einigermaßen erträglich sein konnte.
Einige alte Höfe auf den Inseln sind auch mit der neuen Zeit wegen Unrentabilität aufgegeben worden, denn heute würde niemand mehr einen Kilometer vom Festland entfernt leben wollen, auf einem Felsen, an dem anzulegen selbst mit modernen Schiffen gefährlich ist, wenn ein heftiger Sturm tobt.
In der alten Zeit dachte man über Wind und Wetter nach und baute entsprechend.

Die verbaute Küste


Doch in der neuen Zeit, mit dem Tourismus, änderte sich das. Heute werden Ferienhäuser gebraucht. Und es wurde gebaut und gebaut.
Auf einem Landvorsprung steht dieses neue Haus
Als wir in 1987 zum ersten Mal die Bretagne bereisten und einmal um den ganzen Drachenkopf herumfuhren, waren wir schon damals entsetzt, wie wenig freie Küste es gab. Doch draußen am Ende der Welt, an der westlichsten Küste der Bretagne, am Oberkiefer des Drachens nördlich von Brest, waren die Dünen unbebaut und ungeschützt dem Sturm vom Atlantik ausgesetzt. Es gab unterhalb der schroffen Klippen, die für diese Küste typisch sind, in den Senken, die kleine Bäche, die ins Meer fließen, geformt hatten, diese einsamen, geheimnisvollen sandigen Buchten, teilweise nur schwer zugänglich, mit ihren faszinierenden Felsformationen, ihren Bögen, Stelen und Höhlen. 

Ein alter Ort, der sich ausgeweitet hat
Jahre später waren in den Senken bis zum Zugang des Strandes zugebaut. Die Häuser reichten bis keine 50 m an der Küste, auf den Felsen standen edle Villen in Parks. Freies Gelände gab es wirklich nur noch dort, wo man wirklich keinerlei Chance hatte, mit den Baulastern hinzugelangen.


Wenn man mit dem Schiff von der Insel Ouessant ganz im Westen auf das Festland zurück fährt, sieht man an der ganzen Küste entlang einen weißen Streifen – Häuser. Freies Gelände gibt es kaum noch – zwischen Porspoder und dem Leuchtturm von Pointe Saint Mathieu. Diese Küste geht genau nach Westen. Nur der westlichste Punkt Frankreichs, Pointe Corsen, ist unbebaut. Der Semaphore, von dem aus der Schiffsverkehr um die gefährlichen Felsen herum und zum Eingang des Ärmelkanals überwacht wird, wurde etwa 300 m von den steilen Felsen landeinwärts gebaut. 

Stürmische Küste

Das heißt, hier am Ende des Kontinents prallt das Wetter ungebremst auf das Land. Die Frühjahrs- und Herbststürme donnern mit der ungebremsten Kraft, mit der sie über den Atlantik fegten, gegen die Küste. Aus diesem Grund ist der Westzipfel der Bretagne von Natur aus karg, es wachsen fast keine Bäume auf den offenen Flächen. Die alten Granithäuser ducken sich in die Senken und haben keine Öffnungen in die Richtung, aus der der Sturm kommt.
Nun stehen dort neue Häuser. Schutzlos sind sie dem Wetter aus dem Westen ausgesetzt.
Doch im Frühjahr und im Herbst sind diese Häuser verschlossen. Sie schlafen. Denn sowohl die alten als auch erst Recht die neuen Häuser sind Ferienhäuser. Sie wurden gebaut, damit Pariser Familien oder andere Feriengäste die Sommerferien dort verbringen können. Für den Rest des Jahres sind die meisten verschlossen. Wenige werden in den Herbstferien, an Weihnachten und vermutlich Ostern geöffnet. 

Bretonische Erben

Umgebautes Bauernhaus - geschlossen
Die alten Fischer- und Bauerhäuser, die schon lange hier stehen, werden von Bretonen, die in Paris oder anderswo ihr Arbeitsleben verbrachten, geerbt. Es geht die Mär, in Paris leben mehr Bretonen als in der Bretagne selbst. Das sagt man aber auch von den Iren: Es gibt mehr in England als in Irland – von den USA ganz zu schweigen. Die Bretonen waren in ihrer Jugend in die Stadt gewandert, da es in der Bretagne keine Arbeit gab. Die Eltern blieben in den kleinen Häuschen zurück. Die Kinder machen Karriere – und erben irgendwann das Haus an der Küste.
Teilweise werden diese Häuser dann verkauft. Vor der Krise kauften hauptsächlich Engländer, Deutsche und auch Holländer – wie überall in den schönen Gegenden Frankreichs. Die Immobilienpreise waren so hoch, dass Einheimische keine Chance hatten. Irgendwann in den Jahren nach der Jahrtausendwende aber gab es zwei Änderungen. Die erste betraf den Immobilienmarkt überhaupt. Ein neues Gesetz besagte: die Häuser mussten zuerst Bretonen angeboten werden, bevor Ausländer oder auch Pariser kaufen konnten – und das wohl auch zu einem bezahlbaren Preis. Wie weit das funktionierte, weiß ich nicht, denn dann kam die Krise. Mindestens die Engländer kehrten nach Hause zurück. Nicht alle, aber viele. Wenn ich allerdings bei den Immobilienmaklern ins Schaufenster schaue, hat da an den Preisen nichts geändert, die sind weiterhin astronomisch.
Was aber eigentlich wichtiger ist: Noch vor der Krise griff der Küstenschutz auch in Bezug auf Neubauten. 

Küstenschutz auch hier

Geschlossen - auf einem Felsvorsprung am Meer
Wie ich an anderer Stelle schon einmal erwähnte, bemüht man sich schon seit vielen Jahren, die Küste zu retten. Im Zusammenhang mit der wilden Bebauung bedeutete das: Ab etwa Mitte 2000 durfte nicht mehr näher als 800 m an die Küste herangebaut werden, innerhalb von Siedlungen, wo die Küste bereits bebaut ist, nicht näher als 300 m. Man hatte sozusagen fünf Minuten nach 12 Uhr die Reißleine gezogen.
Eines der besten Beispiele für diesen unmäßigen und unvernünftigen Hausbau an der Küste sind die sieben Häuser oberhalb der Grève blanche. Laut meiner Vermieterin sind diese Häuser Anfang der 1970er gebaut worden. Ich vermute, die ganze Siedlung Grève Blanche ist bis auf ein oder zwei Häuer nicht älter.
An der Ecke befindet sich die Segelschule. Das Haus scheint alt zu sein, es ist gegen das Meer durch Dünen und eine Mauer geschützt. Dort ist immer etwas los, das Haus ist immer offen. Jenseits der kleinen Straße, die als Zugang zum Strand dient, stehen sechs kleinere Häuser, die alle im Herbst geschlossen sind. Vielleicht sind während der Herbstferien ein oder zwei für eine Woche vermietet, vielleicht sogar von den Eigentümern bewohnt, aber nicht jedes Jahr. Das siebte, südlichste Haus, ist das imposanteste. In den ersten Jahren, die ich hier den Herbst verbrachte, war es noch ganzjährig von den Eigentümern bewohnt. Dann zogen diese aus, und es wurde als Ferienhaus vermietet. Es ist allerdings auch im Herbst meist bewohnt, von wechselnden Gästen. Es ist ein Traumhaus mit einem wunderschönen Blick über die Bucht mit den Inseln Tanguy, Île de Seigle und der Kanincheninsel, hinüber zur Île Grande und der ganzen Bucht von Lannion. Schöner, denkt man, kann man nicht leben.  
Warum aber sind die Eigentümer ausgezogen, wenn sie in so einem Traumhaus leben konnten?
Grève Blanche
Weil diese sieben Häuser oben auf ihrer Anhöhe ungeschützt Richtung Westen auf das Meer hinausschauen. Wenn der Sturm vom Atlantik herkommt, donnert er auch dort ungebremst auf die Hauswände. Meine Vermieterin erzählte mir, dass die Menschen dort bei Sturm nicht schlafen können, sie fühlen sich wie bei einem Erdbeben. Ich frage, warum man die Häuser da gebaut hat. Sie grinst und zuckt mit den Schultern. Wir wissen es ja auch alle…
Während ich hier schreibe, ist der für heute angesagte Sturm, der mit 130 km auf das Festland donnern soll, angekommen. Das Haus, in dem ich mich befinde – etwa 100 m vom Strand entfernt und geschützt durch einen Felsen - dröhnt und wackelt, wenn die Böen auf die Mauer prallen. Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustelle, wie das Leben in diesen sieben Häusern vorne am der Grève blanche sind. Aber – sie sind ja leer und verriegelt.
Der kleine Strand, Grève blanche, der vor diesen Häusern liegt, erzählt eine eigene Geschichte, die ich schon seit 2008 jedes Jahr weiterschreibe und hier ebenfalls veröffentlichen werde. „Die Geschichte des kleinen Strandes“. Auch da spielen diese sieben Häuser eine Hauptrolle.

Montag, 21. Oktober 2013

Dimensionen eines Felsenweges



Im Reich der Trolle und Elfen

An der Küste von Plougrescant, zwischen dem Gouffre beim Castel meur, dem kleinen Haus zwischen den Felsen, und der Anse de Gouërmel mit Buguélés am anderen Ufer gibt es einen Abschnitt des GR 34, des Küstenpfades, der eigentlich ein Geheimnis bleiben sollte. Er ist so wunderschön, dass es schade wäre, wenn er überlaufen würde wie das kleine Haus oder le gouffre. Doch ich vermute, im Sommer ist auch dieser Abschnitt gut besucht, deshalb ist es egal, wenn ich von meinen Eindrücken im relativ menschenleeren Herbst berichte.
Porz Scarff - gegenüber Buguélés
In diesen Küstenweg kann man von zwei Seiten her hineingehen. Einmal vom Parkplatz am Castel meur und dann von Pors Scarff am anderen Ende, einem kleinen Fischerhafen, wie es viele in den seichten Buchten dieser Küste gibt.  
Porz Scarff  besteht aus wenigen Häusern. Dominierend ist ein Ferienheim für Familien, das aber im Herbst geschlossen ist. Außerdem gibt es einen „Vivier“, einen Fischer, bei dem es Meeresfrüchte, hauptsächlich Austern und Muscheln, zu kaufen gibt, die draußen in der Bucht gezüchtet werden. Außerdem stehen da noch ein paar Häuschen, wie immer geschlossene Ferienhäuser.
Bewacht den Zugang 
Vorgelagert auf der Südseite des Hafens liegt ein Anwesen, bei dem man wieder einmal hin und her gerissen ist, ob man vor Entsetzen den Kopf schütteln oder sich dem Neid ergeben soll. Auf der kleinen Landspitze steht in einem Park ein Haus zwischen den Felsen, nur wenige Meter vom Ufer entfernt. Von der Lage her ist das Haus traumhaft. Aber wer nimmt sich das Recht, an der Küste direkt an den Felsen zu bauen?
Nördlich des Hafens ragt ebenfalls eine kleine Felsenspitze ins Meer. Dort ist der Parkplatz und dort beginnt der Weg in die Felsen, bewacht wird dieser Eingang vom Kaiser persönlich.

Der Felsenweg

Der Eingang in die andere Welt
Zuerst geht man einige Meter über einen Kieselweg. Und dann tritt man in eine andere Welt ein. Es ist, als schreite man durch ein Tor in eine andere Dimension, eine Phantasiewelt. Peter Jackson ging nach Neuseeland, um die richtige Kulisse für „Herr der Ringe“ zu finden. Dabei hätte er sie hier finden können.
Dramatik
Massive Kraft der Natur
Es sind nur 500 m, dieses Stück Küste, das einen in diese andere Welt entführt. Der Pfad ist nicht ganz einfach zu gehen, manchmal sogar etwas schwierig, vor allem wenn er zwischen den hohen Felsen hindurch führt, die entlang des Weges stehen. Einmal geht es durch den schmalen Spalt zwischen den Ungetümen hindurch. Im Boden befinden sich glatte Steine, vielleicht irgendwann einmal zu groben Stufen gehauen oder über die Jahrhunderte zurechtgetreten. Gehbehindert sollte man auf diesem Weg nicht sein.
Doch was man sieht ist so fantastisch, dass man am besten stehen bleiben sollte, um nicht auch noch zu stolpern, so sehr schweift der Blick über diese unglaubliche Landschaft und das Meer.

Kathedralen der Natur
Die Felsen türmen sich an Land und im Meer wie geheimnisvolle Burgen aus Sagen. Dazwischen liegen Felder aus Farn oder trockenem Gras, eingesäumt von Hecken.
Zwei Felsennasen gehen hinaus vom Weg Richtung Meer. Dort kann man sich hinsetzen und sinnieren, sich sonnen oder auch ein Buch lesen. Zu einem großen Felsen am Meer ist ein Pfad durch den Farn geschlagen. Auch dort kann man sich nun nach leichtem Klettern ausruhen, ohne eine Machete benutzen zu müssen.  



Wenn im Herbst nachmittags die Sonne tief steht und das Meer von Südwesten silbern färbt, glaubt man im Bild der Felszacken, die immer kleiner werdend ins Meer hinausführen, Tolkins Gestalten herannahen zu sehen.
Es könnte auch die Barke mit Merlin oder den Druiden dort auf dem glitzernden Wasser zwischen den schwarzen Schatten zu gleiten. Ich sehe die hohe Gestalt der Morgane herannahen. Die Dimension scheint sich verändert zu haben. Ich fühle mich in der anderen Welt, nicht mehr zugehörig zur Realität.

Dienstag, 15. Oktober 2013

Le Yaudet


Le Yaudet - Baie de la vierge

Gegenüber vom Beg Léguer liegt Le Yaudet. Die Anhöhe befindet sich in der Mitte der Mündung des Flusses Léguer, der nach einem Weg durch waldiges Land die Stadt Lannion teilt, um dann durch diese Trichtermündung ins Meer zu fließen. Auf der nördlichen Seite von Le Yaudet fließt der Fluß, auf der anderen Seite reicht eine kleine Bucht ins Land hinein, genannt Pont Roux, sodass aus dieser Spitze eine Halbinsel wird.
Die Fischerhäuser
Im Mittelalter war hier eine Stadt, die Civitas Vetus, die alte Stadt, auf Bretonisch Ar Yodet – Le Yaudet. 
Vom Weiler, der zum Städtchen Ploulec’h gehört, führt eine ziemlich steile Straße zu dieser Bucht hinunter, an der kleine Fischerhäuschen wie eine Perlenkette aneinandergereiht stehen. Die Fischer fischten einst in der Flußmündung. Auf der anderen Seite der Bucht ist der Hang hinauf unbebaut.

Mur de la pêcherie

Bei Ebbe - die Mauer führt vom südlichen Ufer zur Landspitze
Bei Ebbe sieht man auf dem Boden der kleinen Bucht vor Pont Roux Reste einer Mauer. Diese „mur de la pêcherie“, die Fischermauer, führt 200 m von der Spitze der Halbinsel zum gegenüberliegenden Ufer. Sie ist 2 m breit und 1 m hoch und bis zu 2 Meter in den schlammig-sandigen Boden getrieben, wie Bauarbeiter bei Arbeiten nach der Ölpest herausfanden. Sie bildete eine Barriere durch die ganze Bucht, mit drei Öffnungen, von denen man vermutet, dass sie zur Regulierung der Flut dienten. Heute ist die Mauer zu großen Teilen eingestürzt.
Zum ersten Mal wird die Mauer im 12. Jahrhundert erwähnt, doch sie könnte aus der gallischen Zeit stammen. Geographie -Professor Jean -Pierre Pinot spekuliert, die Mauer könnte ein Fragment aus der Eisenzeit sein, als der Meerespiegel 6 m tiefer lag. Es könnte sein, dass sie Lagerhallen und einen Hafen aus der Phönizierzeit begrenzte. Seit dem Mittelalter und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts diente sie jedoch zum Fischfang, indem die Fische bei ablaufendem Wasser innerhalb der Mauer blieben und gefangen werden konnten. Sie war auch die Ursache für das Wunder vom 30. März 1938, als zur Freude der Fischer von Yaudet ein ganzer Schwarm Sardinen in dieser Bucht gefangen wurde, die sich nicht selbst über die Mauer retten konnten.  
Die Mauer könnte auch als Damm zur Wasserspeicherung für eine Gezeitenmühle gedient haben. Möglich ist beides, Fischfalle und Staudamm.
Die Flußmündung wird laut Karte Baie de la Vierge genannt. Die Bucht der Jungfrau. Und diese Jungfrau ist das interessante an dieser Höhe Le Yaudet im Fluß.

Archäologische Stätte



Haus neben der Kirche
Le Yaudet ist eine archäologische Ausgrabungsstätte. Die Siedlung geht zurück auf das Neolithikum, die Jungsteinzeit, etwa 5000 Jahre vor der Zeitenwende. Im Gegensatz zu anderen Plätzen der Region, wo megalithische Stätten auf die Menschen damals hinweisen, sind hier keine steinernen Zeugen erhalten. Bei Ausgrabungen jedoch wurden alltägliche Gegenstände wie Werkzeuge aus Feuerstein, geschliffene Äxte und Tonscherben gefunden. Man fand auch eine weibliche Figur, die ein Kind trägt. Es gibt zwar keinerlei Spuren von Behausungen auf den Höhen, doch man vermutet eben, dass die Menschen unten in der Bucht siedelten, als der Meeresspiegel niederer als heute war.
Die ersten Spuren von Behausungen gehen auf das erste Jahrhundert unserer Zeit zurück. Im Süden des Plateaus überragte eine Stadt mit ein paar hundert Einwohnern den Hafen. Von der Felsspitze beherrschte ein Wall aus Steinen und Erde die Bucht der Jungfrau. So entstand ein Hafen für den Handel mit den anderen keltischen Stämmen des Trégors und den Stämmen jenseits des Kanals. Münzfunde weisen auf ihn hin. Während der römischen Besatzung entstand auch ein Handel mit Italien. Der kleine Hafen war in das Handelsnetz der Römer eingebunden.
Reste des Römerkastells
Um die Abwehr der Angriffe von Sachsen und Wikingern an der Bretonischen Küste zu verstärken, wurde oberhalb derFelsenklippe eine Steinmauer mit Zugängen erbaut. Einige Teile sind heute noch sichtbar. Bis ins vierte Jahrhundert wurde der Ort von einer römischen Garnison geschützt.
Nach dem Abzug der Römer verschwindet der Ort aus den Aufzeichnungen. Die Menschen lebten von Landwirtschaft und Fischerei, es gab vermutlich auch ein Kloster dort, doch offensichtlich geschah nichts weiter bemerkenswertes, bis im 13. Jahrhundert die Auflösung begann. Die Menschen zogen weg. Im 16. Jahrhundert war der Ort verlassen.
Zum Schutz vor den Engländern wurde im 18. Jahrhundert ein Gebäude für die Küstenwache gebaut – gleich neben den Fundamenten eines römischen Kastells. Diese Wachhäuser stehen überall entlang des Küstenwegs – der auch der Zöllnerweg genannt wird.  Die Ruine wurde 1982 restauriert. Auf den Fundamenten eines anderen römischen Forts wurde 1845 mit Blick auf den alten Hafen ein Schutzhaus für die Wachen erstellt. 

La Vierge couchée

Le Yaudet mit der Kirche
Die Kirche Notre-Dame du Yaudet war immer Ziel von Wallfahrten und eines jährlichen Pardons. Fast verborgen durch einige Pinien steht sie in einem umfriedeten Pfarrbezirk neben einem Friedhof aus dem 16. Jahrhundert
Die heutige Kirche, die 1861 erbaut wurde, steht auf einem alten Kultplatz. Ihr Fundament ist das Fundament eines römischen Tempels, von dem auch einige Baumaterialien verwendet wurden.
Das Altarbild ist eine Seltenheit. Es verkörpert eine von zwei Strömen christlicher Mystik in der Bretagne. Das naive Bild zeigt eine schlafende Jungfrau auf einem Bett aus dem 17. Jahrhundert. Die Symbolik dieses Bildes ist jedoch uralt. Sie stammt aus der Römerzeit.
Um eine Konfrontation mit den örtlichen Druiden zu vermeiden, bauten die römischen Besatzer an dieser Stelle einen Tempel und weihten ihn der Göttin Cybele, die liegend, ihr Kind stillend, dargestellt wurde.
Das Altarbild
Schon die Kelten hatten eine Göttin mit Kind hier verehrt. Bei den Ausgrabungen wurden eine Figur aus der Steinzeit entdeckt, ebenfalls eine Frau mit Kind, sodass man davon ausgeht, dass auch in prähistorischen Zeiten bereits diese Mutter mit Kind hier verehrt wurde. Als die Christen die Bretagne übernahmen, bekam ihre Kirche nicht den sonst üblichen Namen des Eremiten, den es vor Sachsen und Angel über den Kanal geweht hatte, sondern auch sie übernahmen das Bild der Mutter mit Kind, die ja durchaus ihren Platz im Christentum hatte.
Als neutraler Besucher dieses Altars fragt man sich dann auch durchaus, ob dieser Altar überhaupt christlich ist. Das naive Bild der mit Spitzen umrahmten und bedeckten Puppen von Mutter und Kind, von denen man nur die Köpfe sieht, hat so gar nichts von dem, was man in einer Kirche erwartet. Zwar sitzt da diese männliche Figur mit einem Bischofstab, doch da streiten sich die Gelehrten, ob es der Prophet Jessajah oder der heilige Joseph sei, welch letzterer logischer wäre, wenn das Bild Christi Geburt darstellen sollte. Allerdings las ich in einer Erklärung eines gewissen Pierre Barbier, das könne aus seiner Sicht nicht sein, da ja Gott der Vater sei. Außerdem trage die Figur Krone und Zepter und sitze in der heiligen Pose des ewigen Vaters der bretonischen Trinité, der Dreieinigkeit. Außerdem fliege die Taube des Heiligen Geistes über der Szene.
Das alte Dorf
Nun ja. Entweder Christi Geburt oder die Dreifaltigkeit, man kann sich streiten.Vielleicht ist es auch einfach die Urmutter aus einer Zeit lange bevor das Christentum an diesen Gestaden landete. Oder die keltische Fruchtbarkeitsgöttin Brigidh.
Rechts und links flankieren in zwei halbrunden Nischen umrahmt von korinthischen Säulen die Figuren von Saint Anne, Marias Mutter, und Saint Joachim, ihr Vater, das Bild.
Vor dem Bild, auf dem Altar, steht ein kleines metallenes Kreuz. Es ist auf jeden Fall eine christliche Kirche.





Traditionell wird am 1. Mai um Mitternacht ein feierlicher Gottesdienst abgehalten. Diese Nacht ist die Nacht von Beltane, dem keltischen Frühjahrsfest der Fruchtbarkeit. 
Über den Eichen hinunter auf die Mündung

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Islandfischer



Pêcheur d’Islande

Über ein EBook, das ich heruntergeladen habe, weil der Begriff „bretonisch“ im Titel stand, werde ich zum wiederholten Male auf Pierre Loti und sein Buch „Islandfischer“ aufmerksam gemacht. Das Buch zu lesen ist die Energie nicht wert ist, die es braucht, es auf den Reader zu bekommen, doch die Islandfischer fangen an, mich zu interessieren. Das ganze Gebiet um Paimpol ist voller Hinweise auf diesen Schriftsteller. Also lade ich die Islandfischer auch noch gleich auf mein Gerät, als altes Buch kostenlos – und recherchiere erst einmal.
Der Islandfischer wird auch in Saint Malo und vermutlich noch anderen Fischerhäfen an der Nordküste gedacht, doch Pierre Loti ließ seinen Roman hier spielen.

Dienstag, 8. Oktober 2013

Par tous les temps



Bei jedem Wetter

Himmel über Île Grande City
Ja, die Bretagne hat ein Wetter. Manche behaupten, es sei immer schlecht. Es würde immer regnen. Sozusagen das, was man für das große Britannien jenseits des Kanals behauptet, gelte auch hier. Nur – das stimmt nicht, auf beiden Seiten des Kanals.
Bis jetzt ist das Wetter so schön, mit wenigen Regenschauern, die nie lange dauern, dass ich kaum Zeit habe, hier im Haus zu schreiben und den Blog weiterzuführen. Denn es macht wenig Sinn, wenn es draußen so schön ist, die Zeit im Haus abzusitzen.

Als ich vor 26 Jahren zum ersten Mal in der Bretagne war, neugierig und naiv, nur das wissend, was ich mir aus irgendwelchen Büchern vorher angeeignet hatte, und von meinen Erfahrungen auf den britischen Inseln, fuhren wir im Juni los und blieben bis nach dem Nationalfeiertag am 14. Juli. Damals war das Wetter zu Hause ziemlich kühl und nass.
Wir begannen die Bretagne dort zu entdecken, wo eigentlich jeder Neuling anfangen sollte: Am Mont Saint Michel.
Ich werde in diesem Blog nicht weiter auf ihn eingehen, da er nicht in der Bretagne steht. Nur so viel: er ist es wert, besucht zu werden. Man sollte nur schauen, dass man nicht in den Hauptzeiten ankommt. Und auch in den Nebenzeiten tut man gut daran, früh morgens den Besuch zu starten. Wie man heute, wo der Damm mit den Parkplätzen aufgelöst ist, hinkommt, habe ich noch nicht ausgetestet. Aber wie gesagt – er liegt in der Normandie. Bis der Fluss Couesnon sich entscheidet, wieder – wie einst – östlich vom Mont zu münden, wird das auch so bleiben.
Als wir damals „am Mont“, wie er allgemein liebevoll tituliert wird, ankamen, nächtigten wir auf einem Camping muncipal, einem städtischen Campingplatz – und wurden ziemlich nass. Es war kalt und ekelhaft.
Wir fuhren über die Grenze – den Fluß – in die Bretagne, schauten uns Saint Malo an, besuchten die Steinarbeiten von Rothéneuf, aßen die ersten Austern unseres Lebens in Cancale, fuhren weiter am Fort de la Latte vorbei und über das Cap Fréhel. Wir froren und wunderten uns nicht, denn so war uns die Bretagne beschrieben worden. Wir stellten uns darauf ein, die nächsten Wochen unserer Reise feucht, kühl und relativ ungemütlich zu verbringen. Doch wir waren in der Bretagne, und die faszinierende Küste würde uns entschädigen.
Wir landeten schließlich an der Côte Granite Rose, in Landrellec, auf einem wunderschönen, direkt an der Bucht gelegenen Campingplatz.
Und dann wurde es schönes Wetter.
Während der restlichen Zeit, die wir den Drachen umrundeten, schien die Sonne, es war warm, fast zu warm. Ich erinnere mich, dass es auf der Halbinsel Saint Marguerite zwischen dem Aber Wrac’h und dem Aber Benoit morgens nebelig war, als ich aus dem Auto kroch. Ich ging dort auf einen der Felshaufen vor der Küste und fühlte mich wie in den Nebeln von Avalon. Es war angenehm, kühl und wie Seide auf der Haut.
Und dann brach die Sonne durch den Nebel, der graue Schleier löste sich auf und ein wunderschöner Tag begann. 
Regen zieht über die Bucht heran
Genau so ist die Bretagne. Es kann regnen, es kann stürmen, Nebel kann über das Meer ziehen. Doch genau so schnell kann die Sonne wieder hervorkommen und alles trocknen.
Ich war noch nie im Hochsommer hier, für mich ein Glück. Und ich kenne Leute, die ihren Urlaub abgebrochen haben und nach Süden flohen, weil es angeblich nur regnete. Doch ich kann sagen: all die Jahre, die ich in die Bretagne reiste, hatte ich noch nie dauerhaftes schlechtes Wetter.
Ich hatte Herbste hier, da stieg im Oktober das Thermometer noch bis 30°C, tagsüber. Nachts wurde es dann angenehm kühl. Im Jahr 2011 schwamm ich in der Bucht gegenüber – Ende Oktober. Und ich habe keine Lust, ins Meer zu gehen, wenn es kühl ist. Das tat ich als junges Mädchen, heute nicht mehr.
Auch im Frühjahr, im Mai und Juni, hatte ich nie dauerhaft schlechtes Wetter. Wenn es regnete, dann einen halben Tag. Ein ganzer Regentag ist eine Seltenheit.  
mer agitée - tosendes Meer, wenn die Sonne scheint