Freitag, 20. September 2013

Castel meur oder was tut das Auto da?

Hier an dieser Nordküste gibt es einige Fotomotive, die die Bretagne bekannt gemacht haben. Dazu gehört das Chateau Costaere, der Leuchtturm von Ploumanac'h und natürlich das kleine Haus zwischen den Felsen, Castel meur.
Dieses kleine Häuschen ist bekannt wie ein bunter Hund. Es wurde Millionen Mal fotografiert. Ganze Fotokurse wurden jedes Jahr hierher gekarrt, um das Haus fotografieren zu lernen. Dann standen sie mit ihren digitalen Spiegelreflexkameras auf Stativen am Rand der Lagune, die das Häuschen vom Weg trennt, und fotografierten, was das Zeug hält.

Castel meur fotogen
Doch die Fotokursguppen sind verschwunden. Man findet keine Postkarten von diesem Motiv mehr und in Kalendern taucht es nicht mehr auf. Findet man es in einem Bildband, dann ist dieser schon ziemlich alt. 
Aber jeder Tourist, der zum ersten Mal hierher kommt, zückt weiterhin das Smartphone, die kleine kompakte Kamera oder die DSLR, auf die er so stolz ist, um dieses begehrte Motiv ein weiteres Mal auf die Platte zu bekommen. Und das meist aus genau dem selben Winkel wie die anderen, den sehr viele Alternativen gibt es nicht.
Auch ich habe über die Jahre unzählige Fotografien des kleinen Hauses gemacht, denn ich gebe zu, es reizt einfach, hier ein Foto zu machen.
Und heute bin ich auch gezwungen, wieder auf den Auslöseknopf zu drücken. Denn das Häuschen präsentiert sich, wie es sich seit langem nicht mehr präsentiert hatte. Es steht kein Auto davor.
Erbaut wurde das kleine Häuslein 1861. Seither trutzt es mit dem Rücken Wind und Wellen. Damals gab es noch keine Bauvorschriften, und man konnte verrückt bauen. Der Konstrukteur dieses Hauses war wohl etwas verrückt. Es braucht viel Liebe zum Meer und seinen Launen, um hier zu leben - vor allem im Winter. Der Erbauer lebte hier sogar einige Jahre und grub währenddessen von Hand auch die beiden Teiche aus, der eine vor dem Haus, der andere etwas westlich davon.
Seine Erben nutzten das Haus später nur noch gelegentlich, wenn das Wetter schön war. Ende des 20sten Jahrhunderts kamen die Besitzer nur noch alle zwei oder drei Jahre zum Haus. Das Haus war in Gefahr, zu  zerfallen. Da lernte ich es kennen.
Die jetzige Besitzerin, eine Urenkelin des alten Besitzers, verließ Treguier, wo sie geboren wurde, um in Amerika ihr Glück zu machen, und zog nach dem Verkauf ihrer Firma im Jahr 2004 in das Häuschen.
Über die Jahre hatten die Tourismusexperten Castel meur als Wahrzeichen dieser Region aufgebaut. Diese Landspitze mit dem Castel meur wurde das Emblem von Plougrescant. Es wurde weltbekannt. Man sah es nicht mehr als Privateigentum, sondern als allgemein zugängliche Sehenswürdigkeit.

Busladungen von Touristen kamen. Es war der Höhepunkt des Tages, dieses kleine Häuschen. Und wenn japanische Touristen verzweifelt ein originelles Souvenir suchen, dann klettern sie auch schon mal für ein Erinnerungsfoto auf das Dach des Häuschens, was dem nicht gut bekam.
Der Schaden, den diese Menschenmassen und ihre Rücksichtlosigkeit verursachten, brachten die Eigentümer dazu, ihr Haus schützen zu wollen. Sie setzten gerichtlich durch, dass sie ein "Eigentum auf das Bild" ihres Hauses erhielten. Das bedeutet, jegliche kommerzielle Darstellung des Castel meur ist seither untersagt. Und damit wird man keine Postkarte, keinen Kalender und keine der beliebten Tabletts, Mauspads, Tischsets und ähnliche interessante Dinge, die es mit Fotos in den Souvenirläden gibt, finden. Dieses Glück ist damit auf Chateau Costaere, Phare de Mean Ruz und andere schöne Dinge beschränkt. Wollten Sie schon immer mal in einer Postkarte leben? Ich nicht. Deshalb verstehe ich die Eigentümer des Castel meur. 
Castel meur - die Bewohner sind zu Hause
Und deshalb steht seit einigen Jahren - ich vermute damit seit genau 2004 - immer ein Auto vor dem Haus. Das tolle Fotosouvenir ist damit beschädigt. So wie auf diesem Foto, das ich mache, als ich zurück zum Parkplatz gehe. 

Räumlich verhindert eine Mauer den Zugang zum Häuschen weit über die Grenze des Privatbesitzes hinaus, doch das hat andere Gründe. Sie wurde von der LPO (Ligue pour la Protection des Oiseaux - Vogeschutzliga) veranlasst. Denn es soll verhindert werden, dass die Horden von Touristen weiterhin unbekümmert in diese Naturräume eindringen.
Zwischen den Kieseln am Ufer nistet ein seltener Vogel. Der Regenpfeifer. Aber es muss nicht nur geschützt werden. Das ganze Gelände ist in Gefahr, vom Hochwasser überflutet zu werden, weil skrupellose Touristen die großen Kieselsteine als Souvenir mit nach Hause nehmen. Ein Stein macht nichts, aber wenn jeder dieser Tausenden von Menschen einen einsteckt, gibt es den Schutz sehr schnell nicht mehr - ein Problem, das überall da, wo diese großen Kiesel das Land schützen, auftritt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sammelten die Anwohner die Steine, u.a. für den Hausbau. Heute sind es die Touristen, die ein Souvenir wollen.

Im März 2008, als dieser große Sturm viel von der Küste beschädigte und einiges zerstörte, hätten fast die riesigen Wellen Castel meur zerstört. Mit extremer Höhe und ungeheurer Gewalt zogen sie die Kieselsteine über die 150 Jahre alte Mauer. Fast einen Meter hoch schoben sich die Steine dort zusammen.
 Ein weiteres Fotomotiv, das noch legal verwendet werden kann, befindet sich am Ende der Landzunge. Ein Pfad wurde im geschützten Gelände gelegt, damit die Touristenmassen es erreichen. Es handelt sich um das zweite Wahrzeichen von Plougrescant: Le Gouffre - der Abgrund.
Als ich hier zum ersten Mal war - ich denke, es war in 1999 - konnte ich noch kreuz und quer über die Felsen und durch die Heide gehen. Doch wie überall, wo Touristenmassen durchlaufen, haben die Bemühungen der Naturschützer, die Küste vor der Erosion zu schützen - und natürlich auch um den seltenen Vogelarten eine Chance zu geben - dazu geführt, dass die Freiheit der Gäste eingeschränkt wurde. Schon im nächsten Jahr traute ich meinen Augen nicht, als ich gezwungen wurde, mich auf den damals neu angelegten Pfaden zu bewegen. Auch le Gouffre selbst, diese gewaltigen Felsen mit dem Abgrund in ihrer Mitte, in dem bei Hochwasser die Gischt brodelt und man einen Eindruck vom Eingang zur Hölle haben konnte, war nicht mehr frei zu beklettern. Man konnte und kann noch immer hochklettern, aber nicht mehr überall.

Bei meinem ersten Besuch stand vor den Felsen in einer Felssenke, die zum tobenden Wasser führte, ein Tisch aus Stein, auf den ein Pentagramm und andere interessante Zeichen gemalt waren. Es war klar, was hier stattgefunden hatte. Hexen hatten sich getroffen. Ich fand das damals amüsant. Doch ein Jahr später war der Tisch noch zu sehen, aber man konnte ihn nicht mehr erreichen, genau so wenig wie die Schlucht zwischen den Felsen, den wahren Abgrund.

Das sind die Nachteile des Naturschutzes. Meine erste Reaktion damals war: Da wird aus der Bretagne ein Freizeitpark gemacht - aber das Gegenteil ist der Fall. Nicht die Natur wird künstlich eingesperrt, sondern der Mensch wird gezwungen, draußen zu bleiben. Und das ist nicht nur wegen der Vögel notwendig, sondern auch wegen der Pflanzen, die verhindern, dass die Küste abgetragen wird. Wenn Millionen von Füßen die Erde zusammentrampeln und nichts mehr wachsen kann, dann hat der Wind leichte Beute. Er trägt die Erde ins Meer - die Felsen werden freigelegt und können an vielen Stellen auch ins Rutschen kommen.
Seit diesen Anfängen hat der Küstenschutz sehr große Fortschritte gemacht. Pointe du Raz, der südliche Zipfel der Halbinsel Bretagne, ist ein gutes Beispiel, auch diese Landspitze hatte ich noch frei zugänglich erlebt. Heute sind schon die Parkplätze weit ins Innere verbannt - und auch dort darf man nur noch auf Wegen gehen.


Allerdings habe ich keine große Lust auf diese Gegenden. Le Gouffre besuche ich heute nicht mehr, der Abgrund hat den Reiz für mich verloren, ich überlasse ihn den Touristenhorden. Ich laufe lieber den Küstenweg weiter und freue mich an den dem Blick, den ich dort auf das Meer und die wilden Felsen habe. Doch dazu schreibe ich ein anderes Mal mehr.

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