Freitag, 31. Oktober 2014

Argoat

Am Fluss Léguer entlang ins Landesinnere

Manchmal, wenn es stürmt und regnet, und es draußen am Meer und auf den Küstenwegen einfach zu ungemütlich ist, aber es mich irgendwie nach draußen zieht, weil ich die Wände des Häuschens zu gut kenne, dann fahre ich weg von der Küste ins Landesinnere, in das Gebiet südlich von Lannion, fahre den Léguer entlang, den Fluss, der durch Lannion hindurch ins Meer fließt. Siehe Blog Le Yaudet.
Am Fluß Léguer entlang gibt es einen hübsch aussehenden Wanderweg. Wer das mag, findet hier sicher spannende und wunderschöne Strecken. Ich bin nicht so sehr der Waldmensch, deshalb fahre ich mit dem Auto – zudem regnet es ja – und schaue mal, was es da so zu sehen gibt.
Typisches Beispiel für die Bocage
Das Innere der Bretagne ist das Argoat, das Gebiet des Waldes, auch wenn der heute größtenteils abgeholzt ist. Heute ist es die typische Knicklandschaft, die Bocage, mit den typischen Begrenzungen der Felder durch Hecken, wie man es auch von Großbritannien und Belgien kennt. Die Bocage geht auf die Kelten zurück, die bereits vor 2000 Jahren die Hecken für die Begrenzungen der Felder anlegten.
Wälle begrenzen die Felder und Wege
Aus den Hecken wurden über die Jahre Wälle. Verschiedene Straucharten, Brombeer- oder Ligustersträucher wachsen auf diesen Wallhecken, die dadurch bis zu 4,5 Meter hoch werden können – mit einer Tiefe von etwa 1 Meter. Das charakteristische Bild der Bocage wird zudem von Eichen und Eschen bestimmt, die von den Landwirten über die Jahrhunderte auf einem Großteil der Hecken gepflanzt worden sind.

Bocagefelder
Während der Flurbereinigung und durch die Zersiedelung wurde sehr viel von der Bocage zerstört.  Hauptsächlich ist sie in Gebieten mit Viehzucht erhalten und dient als natürliche Einzäunung für die Herden. Sie stellt einen natürlichen Lebensraum für die lokale Flora und Fauna dar, bietet Holz für die Bauern und Futter für das Vieh. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts werden deshalb die Bocagehecken gezielt gepflegt und neu gepflanzt.
Wenn man die Häuser entlang der Küste anschaut, wird man feststellen, dass die Abgrenzungen der Grundstücke oft Bocagehecken und –wälle sind. Das hat natürlich einen besonderen Reiz als Gartenzaun, ist aber wieder ein weiterer Beweis, dass die Landschaft teilweise sehr zersiedelt wurde.
Pferdeweide zwischen den Hecken und Wällen
Hohlweg ziwschen den alten Steinwällen - auf der anderen Seite Felder, Weiden oder auch Häuser
Hier im Argoat von Trégor dienen die Felder noch wirklich der Landwirtschaft. Es gibt viele Viehherden, aber auch Maisfelder, ab und zu Artischocken oder Blumenkohl. Gemüsebauern sind seltener, sie sind weiter westlich häufiger, vor allem dann im Leon jenseits von Morlaix. Hier im Trégor ist die Viehzucht häufiger. Die bretonische Milch und besonders die Butter sind  sehr schmackhaft. Die Höfe mit den Häusern aus grobem Granit sind verteilt über das ganze Gebiet, manche in kleinen Weilern zusammengefasst, deren Namen oft mit Ker… beginnen. Ker ist das bretonische Wort für Weiler. Ti ist das Haus, Ti Ker ist ganz logisch das Rathaus.
Am Fluss entlang jedoch ist Wald. Dichter, grüner, wilder Wald mit vielen Eichen. Ab und zu scheint ein Druide durch die Schatten zu schreiten, um mit der goldenen Sichel die Misteln abzuschneiden. Die Wälder scheinen mystisch. 

Kirchen und Schlösser

Ein paar Kleinode gibt es dann verteilt über das ganze Gebiet. Kleine Kirchen sind immer wieder zu finden, manche mitten in einem Feld, andere am Flussufer. Immer gehören die drei typischen Teile zum Kirchlein: Die Kirche selbst, der Calvaire und eine Quelle. Diese ist nicht immer direkt bei der Kirche, aber nie weit davon entfernt. Die Gründer, die Eremiten, die vor Sachsen und Angeln über den Kanal flüchteten und das Christentum in die Bretagne brachten, siedelten immer an einer Quelle, die den Kelten heilig war. Außerdem hatten sie Durst.
Kirchlein und Calvaire stehen dann oft auf romanischen Fundamenten, sind jedoch meist erst einige Jahrhunderte später gebaut, wie auch die größeren Kirchen in den Orten. Die Kirchen sind oft sehr dominant in den kleinen Orten. Sie zeugen vom Reichtum – der Kirche. Doch es waren die Bauern, die durch ihre Abgaben den Bau finanzierten.

Calvaire in Saint Thegonnec

Calvaire wird gerne mit "Kalvarienberg" übersetzt. Es sind teils einfache, teils komplexe Monumente auf viereckigen oder runden Steinsockeln, geschmückt mit umlaufenden Figurenfriesen. Der eigentliche Kalvarienberg mit der Darstellung der Kreuzigung Christi erhebt sich darüber. Die Plattform wird unter den Kreuzen von vollplastischen Figuren bevölkert.
Figuren stehen auch auf den Kreuzbalken. Aufgrund des harten Granitsteins sind sie meist einfach gearbeitet. Mit ihrer Mimik und der lebendigen szenischen Gestaltung tragen sie zu jener fantastischen Wirkung bei, die sie zu einer außerordentlichen Erscheinung der Renaissance-Kunst machen.
Calvaire in Guimiliau
Die bekanntesten Calvaire sind die von Guimiliau und Saint Thegonnec in der Nähe von Morlaix. Dort ist die Gegend der umfriedeten Pfarrbezirke. Deutlich nach außen abgegrenzte Ensemble aus Kirche, Calvaire, Gebeinhaus, Triumphtor und Friedhof. Irgendwo auf innerhalb oder in der Nähe ist dann noch eine Quelle, die ebenfalls eingefasst ist.

Die Kirche von Tonquédec
Im Trégor gibt es unzählige kleinere Kirchen innerhalb und außerhalb der Orte.
Und der Gargouille grinst...
Eine imposante Kirche steht in dem kleine Ort Tonquédec. Sie wurde im 15. Jahrhundert gebaut, in der Revolution 1790 bis auf den Turm von 1735 zerstört und 1835 wieder aufgebaut. Sie ist ein typisches und durchaus attraktives Beispiel für viele Kirchen.
Einige Kilometer weiter, am Fluß, steht eine restaurierte, fast quadratische Burg, Château de Tonquédec, eines der am meisten besuchten Baudenkmäler der Bretagne. Die Burg ist eine der beeindruckendsten Befestigungsanlagen des mittelalterlichen Frankreichs. Sie wurde im 12. Jahrhundert gebaut. Heute kann sie für Fotoshootings und Filmaufnahmen gemietet werden. Tafeln und Plakate zeigen, dass im Sommer hier auch Ritterspiele stattfinden.
Das Landesinnere des Trégors ist wie ein Labyrinth. Wenn man sich von den großen Straßen von Lannion nach Guingamp oder Belle-Île-en-Terre entfernt, tut man gut daran, einen natürlichen Richtungssinn zu haben - oder das Navi zu bemühen - denn man kann sich in diesem Gebiet gnadenlos verirren. Doch wenn man es tut, dann bewegt man sich am Besten einfach immer in dieselbe Richtung vorwärts und gelangt zwangsweise dann doch wieder an einem der Orientierunspunkte - notfalls am Meer.

Im Labyrinth

Wenn man jedoch etwas in diesem Gebiet sucht - einen Ort, eine bestimmte Kirche, ein Schloss - dann ist die Erfindung des Navigationsgerätes endlich eine sinnvolle Errungenschaft, sofern man den Namen des Ortes im Navi findet - auch nicht immer ganz einfach, den die vielen kleinen Weiler sind meist unter dem Namen eines größeren Ortes wie z.B. le Vieux Marchè zusammengefasst, liegen aber weit verstreut. Als Ort findet man sie nicht - im Detail nur dann wenn man genau weiß wie sie heißen - bretonisch oder französisch. Es ist also oft ein reines Glücksspiel.
Ich wundere mich, wie ich diese Plätze in den Urzeiten, als mich noch kein Navi lenkte fand. Als ich dann eines hatte, hielt ich die Koordinaten fest - heute als finde ich sie tatsächlich mit Hilfe des Gerätes.
Und so finde ich auch seither ein besonderes Dorf - Les Sept Saints - von dem die nächste Geschichte handeln wird. 

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