Mittwoch, 6. November 2013

Die Geschichte eines Strandes Teil 2


2010

Rettungsversuche
Mitte September 2010 war die Böschung dann völlig unterspült, fast bis zu den Gartenmauern war der Sand heruntergebrochen, es war nun kein schräger Hang mehr, sondern eine senkrechte Klippe, aus der Sand rieselte und von der jeder Zeit wieder große Stücke abbrechen konnten. Von der geraden Fläche, die die Gärten der Häuser bildeten, ging es vor den Mauren fast senkrecht in die Tiefe, von Pflanzen oder Rupfen war nichts zu sehen.
Attraktive Verschönerung
Der Fels unter dem Sand war noch immer nicht erreicht. Die Frage war: waren die Gartenmauern bereits auf dem Fels oder auch nur auf Sand gebaut? Noch waren die Gartenmäuerchen unbeschädigt, nur ganz links waren einige rosa Granitquader, die den Hang unterhalb der Mauern abstützen sollten, in Schräglage geraten, würden in Kürze herunterbrechen. Die Struktur des Sandhangs war die eines Felsabbruchs, wild und extrem gefährlich für diejenigen, die dort meinten herumklettern zu müssen.
Ein Band entlang des Strands hielt mit dem Hinweis auf die Gefahr die Menschen auf Abstand.
In den letzten beiden Wochen des Septembers füllten nun drei Arbeiter mit einem kleinen Bagger erneut Sandsäcke ab und stapelten sie unten am Abbruch der Böschung hinter der Absperrung. Immerhin schafften sie am Tag so etwa 8 bis 10 Säcke in unglaublicher Geschwindigkeit, indem zwei den Sack hielten, während der dritte den kleinen Bagger bediente und Sand in die weißen Tüten schaufelte – auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Die Situation im November 2010
Als die Reihe der Sandsäcke vom einen Ende an der Ecole de voile bis zum anderen Ende des Strandes am großen Felsen geschlossen war, begannen Anfang Oktober die drei Arbeiter mit ihrem Bagger eine neue Reihe Sandsäcke aufzufüllen, die sie vor der bereits bestehenden Reihe stapelten. Dieses Mal waren es nicht nur einzelne Säcke, die wie die Soldaten nebeneinander standen, sondern eine weiter Plastikfolie wurde über sie gezogen, um sie zu verbinden. Eine interessante Konstruktion, besonders da dann auch noch Sand auf die Säcke geschaufelt wurde.
Die nächste Springflut im Oktober fand ausnahmsweise ohne Sturm statt. 


Wie die Touristen im Sommer stapeln sich die Säcke
Auch wenn ein Baum in Landrellec über die Klippe gekippt ist, woran der Wind der letzten Tage sicher beteiligt gewesen war, blieben bis zur Abreise der Chronologin die Herbststürme aus. Am Abreisetag wird zum letzten Mal in diesem Herbst die Springflut auf einen Koeffizienten von 101 steigen, was aber noch lange nicht in die Nähe der höchsten Flut mit dem Koeffizienten 116 kommt, die im März stattgefunden hatte. Vermutlich wird auch der nächste März wieder eine solch hohe Flut bringen – vielleicht dann mit Sturm. Ob dann diese großartige Zierde von  sorgfältig platzierten Sandsäcken das weitere Abbrechen der Klippe verhindern können, darf mit dem gesunden Menschenverstand derer, die keine Gelder von der EU oder aus Paris erhalten, bezweifelt werden. Eine Fortsetzung dieser Geschichte des kleinen Strandes ist damit in jedem Fall zu erwarten. 

September 2011

Der erste Blick über den Felshaufen zeigt: Nichts hat sich geändert. Die Sandsäcke stehen noch wie letztes Jahr. Die Attraktion des kleinen Strandes bilden weiterhin die Reihen der Sandsäcke. Allerdings sind sie inzwischen etwas zerzaust, Stürme und Grande Marée der letzten Monate sind nicht spurlos an ihnen vorübergegangen.

17. Oktober 2011 – ein denkbarer Tag in der Geschichte des Strandes.


Gefahr - Zugang verboten
Der Zugang ist gesperrt. Ein Gitter verhindert das Betreten des Strandes vom Felsen her – vermutlich ist auch der Zugang an der Segelschule verboten. Ein großes Schild verkündet: „Gefahr!“ Besonders interessant ist das, wenn man wie die Schreiberin dieser Zeilen den Nachmittag während Niedrigwasser auf dem Meeresboden zwischen und auf den Inseln vor der Bucht verbracht hat und eigentlich auf dem Heimweg plötzlich von der hinteren Seite des Gitters überrascht wird, das einem am Verlassen des Strandes hindert. Zum Glück ist man des Kletterns mächtig und umgeht das Gitter über den Felsen.
Sand wird umgewälzt
Am nächsten Morgen schallen dumpfe Geräusche vom Strand herauf, die eindeutig nicht das Rauschen der Wellen im heftigen Wind sein können. Da die Sonne inzwischen erst um etwa 8:30 Uhr aufgeht, ist es noch ziemlich düster, als der Hund seine Morgenrunde drehen will, die ihn über den Felsen auf den Strand führt, wo er seine ersten Geschäfte verrichten möchte, die spätestens in einer Woche beim nächsten Grande Marée im Meer verschwinden werden. Am Zugang zum Strand ist das Gitter umgefallen, doch der Hund bleibt entsetzt stehen. Auf dem Strand dröhnen Ungeheuer mit leuchtenden Augen. Drei LKW, ein Bagger, alle mit Scheinwerfer an, beschäftigen sich mit den Sandsäcken.
Nachmittags ist dann von der anderen Seite der Bucht, wo die tägliche Runde über den dortigen Küstenweg und durch die Heide im Innern stattfindet, zu erkennen, dass die Reihe der Sandsäcke aufgelöst und die Säcke zu kleinen Gruppen zusammengestellt worden war. Was am Abhang unterhalb der Häuser stattgefunden hat, ist auf die Entfernung nicht genau zu erkennen.
Ein paar Tage später wird eine Plane über den Hang gezogen, Rupfen vermutlich, um den Hang zu stabilisieren und den Pflanzen die Möglichkeit zu geben, sich anzusiedeln. Hatten wir das nicht schon?

Grande Marée Ende Oktober, kurz von Toussaint – ob alle Heiligen das wohl beobachten und ob Sainte Anne – der hier mal mindestens eine Kirche geweiht ist – oder Saint Samson, der überall seine Spuren hinterlassen hatte, helfen können? Am Freitag soll der höchste Stand des Hochwassers erreicht werden. Am Donnerstag weiht morgens vor Sonnenaufgang der Hund den neuen Abhang ein, indem er hinaufspringt und seinen Haufen ganz oben setzt, innerhalb der Absperrung. Unten war das Wasser, das bereits wieder am Ablaufen war, bis zum Hang vorgedrungen und hatte die ersten Spuren hinterlassen. Der Sand war weggebrochen, etwa in der Mitte schon wieder ein gutes Stück abgerutscht. Auch dieses Grande Marée wird ohne heftigen Sturm ablaufen, somit wird dieses Meisterwerk den Herbst wohl überleben. Doch der nächste Sturm kommt – und das nächste Grande Marée auch – spätestens im Frühjahr.

Dienstag, 5. November 2013

Die Geschichte eines Strandes - Teil 1


Grève rose 2013 vor dem letzten Sturm


Grève rose vor März 2008

2008

An dem kleinen Strand zwischen der Grève Blanche und dem Plage de Toull Bihan in Trégastel knallen die Weststürme ungebremst auf das Festland, wenn sie bei ihrem Weg über den Atlantik in Europa angekommen sind.  Nichts verlangsamt ihre Kraft, auch die kleinen Felseninseln Île de Seigle und Île Tanguy rechts und links nur ein paar Meter vor der Küste bilden eher einen Trichter, als dass sie das Land schützen.
Der Wind hat über die Jahrmillionen einen Wall aus Sand auf dem Granit, der den Sockel der Bretagne bildet, aufgetürmt. Wie die Natur diesen Sandwall erschaffen hatte, hätte sie ihn irgendwann auch wieder zerstört, wenn nicht wie so oft der Mensch den Platz verändert hätte.
Traumhafte Lage direkt am Strand - vor März 2008
Eine kleine Mauer am Rand des Sandstrandes sorgte seit Jahrzehnten dafür, dass die Wellen sich an ihr brechen und nicht weiter ins Landesinnere vordringen konnten. Nur wenige Meter weg vom Absturz des Festlandes auf den Strand, oben auf dem festen Grund des Granits, waren – wie könnte es anders sein – sieben Häuser hingestellt worden, mit Blick auf das Meer. Die Sicht dort ist phänomenal. Jeder Feriengast, der diesen Teil der zerklüfteten Bucht besucht, wünscht sich, in einem dieser Häuser wohnen zu können, als Ferienhäuser sind sie während der Saison ausgebucht, die Besitzer können jeden Preis verlangen.
Doch ganzjährig will heute, 40 Jahre nach dem Bau, niemand mehr dort wohnen, an Touristen werden die Häuser hauptsächlich im Sommer vermietet. Wer als Tourist einen Herbststurm miterlebt, schätzt dies als Abenteuer. Im Winter lassen die Stürme die Wände erbeben, und das Pfeifen in den Fenstern macht den Genuss jeglichen Fernsehfilmes unmöglich. Weihnachten dort oben ist sicher romantisch, wenn man weiß, man reist wieder ab. Die Eigentümer, die noch das ganze Jahr im größten und schönsten der Häuser gewohnt hatten, verließen ihr Haus vor etwa 8 Jahren, um weiter im Landesinnern geschützt vor dem Wind und dem Lärm des Meeres zu leben. Und näher an den Cafés, wie eine der letzten Bewohnerinnen des Viertels aus einem Haus unterhalb des Felsens erklärte.

Sturmtief Johanna

Am 10. März 2008 gab es einen heftigen Sturm. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches für diese Jahreszeit, auch nicht in Verbindung mit der höchsten Springflut des Jahres. Jedes Jahr im Frühling und Herbst finden diese hohen Springfluten statt. Und oft gibt es gleichzeitig einen heftigen Sturm, der in anderen Teilen des Landes, im Binnenland, eine Katastrophe wäre. Aber am Atlantik und am Kanal ist das normal, die Häuser und Dächer sind entsprechend gesichert, Bäume wachsen nur an Stellen, die vom Wind geschützt sind.
Diese Sturmflut im März jedoch war selbst für die sturmerprobte Küste ungewöhnlich heftig. Der Sturm war eindeutig ein Jahrhundertsturm, die dazugehörige Flut entsprechend gewaltig. Die Wellen und der Wind zerstörten viele Küstenwanderwege, unterspülten Felsen und veränderten an einem Tag die Küstenlinie. Auch das Forum von Trégastel wurde schwer beschädigt. Dort wurde das Restaurant in Einzelteile zerlegt, und Meerwasser drang in das Schwimmbad ein. Noch im Herbst 2008 waren beide geschlossen. Im Jahr 2009 schließlich hatten wohl die Versicherungen bezahlt, und Schwimmbad und Restaurant konnten nach sorgfältiger Renovierung wieder geöffnet werden.

Freitag, 1. November 2013

Île aux Lapin



Île aux Lapin
Die Insel der Kaninchen – wenn man sie genau anschaut, ahnt man, wie sie zu ihrem Namen kam. Zwei der riesigen Granitfelsen sind wie Kaninchenohren geformt. Allerdings ist sie auch mit Kaninchenlöchern durchsiebt. Diese winzigen kleinen Tierchen sind in der Bretagne überall am Meer zu finden.
Felsenchaos mit Ohren
Die Insel liegt nur wenige Meter vom Festland, von der Ecke der Grève Blanche, an der die Segelschule steht, entfernt. An dieser Ecke des Strandes ist ein kleiner Felsenhaufen, von dem aus auf der anderen Seite ein Damm aus Sand und kleinen Steinen zur Insel hinüberführt. Dieser Damm ist noch lange begehbar, wenn das Wasser aufläuft. Bei niederen Koeffizienten ist er nur kurze Zeit ganz überflutet.
Das Wasser nähert sich von beiden Seiten
Ich habe schon Touristen schockiert, weil ich noch hinüber zur Insel ging und auf sie hochkletterte. Sie standen an dem Felsenhaufen am Beginn des Dammes und starrten entsetzt zu mir hinüber. Offensichtlich konnten sie die Tide nicht einschätzen. Doch ich bin schon so oft hier gewesen, dass ich weiß, wie lange es dauert, bis der Damm überflutet wird. Auch weiß ich genau, wo das Wasser sich von beiden Seiten hier trifft und habe oft zugeschaut, wie es steigt und schließlich zusammenfließt. Bei diesem Spiel ist es nur wichtig zu beachten, dass dieser Punkt sich von einem Jahr zum anderen ändern kann, genau wie die Sandbänke in der Bucht, die umspült werden, bevor das Wasser sie überspült. Durch die Stürme im Herbst und Frühjahr kann sich die Oberfläche des Meeresbodens ändern – und dann ändern sich auch diese Strömungen.
Der Granitsockel der Insel ist relativ einfach zu besteigen, wenn man weiß wo. Doch das machen so viele Leute aller Altersgruppen, dass man nur einmal zuschauen muss und dann kennt man die Zugänge für unsportliche Menschen.
Auf der Insel gibt es mehrere massive Felsen in phantasievollen Gestalten. Und es gibt die Hasenohren. Eines dieser Ohren liegt so, dass sich unter seiner schmalen Spitze ein Raum bildet. Ein troglodytischer Raum, an dem auf den drei offenen Seiten Reste einer Mauer zu sehen sind. Die Felsen auf dem Boden dieses Raumes scheinen natürliche Möbel zu ergeben, man braucht nicht einmal viel Phantasie dazu, zwei Bänke, einen Tisch, ein Bett und eine Feuerstelle zu erkennen.  

Das Haus des Zantig

Reste der Mauer sind unter dem Felsen zu sehen
Dieser troglodytische Raum wurde von Zantig gebaut, einem Außenseiter der Gesellschaft. Er hieß mit richtigem Namen Alexandre Marie Lefebvre (1893-1968).
Seine Geschichte wurde mündlich von Sylven Gourvil berichtet:
Die troglodytische Behausung in Gesamtansicht
Alexandre Marie Lefebvre, genannt Zantig, wurde am 24. März 1893 in LeHavre als Sohn der Marie Perrine Ropars und des Eugène Maximilien Lefebvre, von Beruf Seeman, geboren. Er wuchs jedoch mit seinen Geschwistern beim  zweiten Ehemann der Mutter, einem Russen namens Michel Kradtzoff, in Pleumeur-Boudou auf. Es waren vier Geschwister. Ein Bruder wurde Fischer, ein andere Wilderer in Pleumeur-Boudou. In jungen Jahren wurde der Junge einer Pflegemutter in Trégastel übergeben. Er erhielt keine
Damals - eine von Zantigs Postkarten
Bildung, sondern begann mit 13 Jahren auf dem Bau zu arbeiten. Mit 18 Jahren ging er zur Fremdenlegion. Dort erhielt er während einer Disziplinierung eine Ganzkörpertätowierung, Pfau und Schlange.
Doch bekannt wurde er durch seine Zeit auf der Île aux Lapin, die auch auf einen Schiffbruch zurückgehend l'Île aux Croix, die Insel mit dem Kreuz, genannt wurde.  
1930 baute Zantig aus Backstein die Schutzhütte, eine Art Wohnung, unter dem Felsen. Der Felsen wird noch heute „Roche Zantig“ genannt, der Felsen des Zantig. Er lebte vom Fischen zu Fuß – pêche à pied, noch heute eine beliebte Freizeitbeschäftigung, bei der bei Ebbe der Meeresboden und die Felsen nach Meeresgetier abgesucht wird. Er fischte auch von seinem 4,5 m langen Boot „Les Perdreaux“ – „die Rebhühner“ wäre das zoologisch, doch irgendwie gibt es auch eine etwas derbere Bedeutung –  „der Bulle“ – dafür. Ich tendiere zu letzterem.
Felsengebilde
Seine Beute verkaufte er an Touristen und Einheimische. Außerdem erhielt er für seine Dienste als Seemann 6. Klasse bei der Küstenschifffahrt von 1929-1942 eine Rente.
Er benutzte eine Seilwinde, um die Insel mit dem Festland zu verbinden. Außerdem hatte er eine kleine Herde und schoss „Wasservögel“ mit einer Flinte aus dem ersten Weltkrieg.
Während des 2. Weltkrieges – als die Deutschen die Bretagne besetzt hatten und die Küste befestigten, um eine Invasion abzuwehren, die dann in der Normandie stattfand – wurde er von der Insel vertrieben und fand Zuflucht in einem verlassenen Haus an der Grève Blanche.
Zantig hatte nur wenige Freunde. Zu ihnen gehörte der, den sie „Otter“ riefen und der in einem Bunker lebte, ein anderer Außenseiter an dieser Küste, wie auch Vater Adam, der im Schutz des Felsens unter dem „Père Eternel“ hauste. Heute ist dort das Aquarium von Trégastel.
Naturkunst
Zu Zantigs Tod 1968 gibt es verschiedene Versionen. Die einen behaupten, er starb an einer Lungenentzündung, die anderen, man habe ihn nackt und sauber rasiert auf seinem Bett gefunden. Er wurde mit der Ehre eines Veteranen zur Kirche geleitet und auf dem Friedhof beigesetzt. In einer weiteren Version starb er in seiner Behausung und wurde von „Gwénojen“, einer Art Wichtel, dort abgeholt und auf dem Friedhof von Trégastel begraben.
Zantig hatte immer eine Faszination ausgeübt und übt sie noch heute aus. Er war in sich ein Kunstwerk. Er war extravagant, exzentrisch, sarkastisch gegen Touristen und den Frauen gegenüber verführerisch, wenn er mit seiner Barke zwischen den Inseln herum glitt. Er schrieb und sang und vermittelte seine Sicht der Dinge beängstigend dämonisierend. Er verkörperte die Phantasie, lebte den Traum der Freiheit. Damit war er wie eine Figur aus den alten Geschichten und Märchen, die die Küste der Bretagne umwehen.
Les sept îles